Rund 1000 Plätze mehr müssten die Gemeinden für ukrainische Flüchtlinge bereitstellen, um ihre Quote zu erfüllen. Die bz beantwortet die wichtigsten Fragen zu kommunalen und privaten Unterkünften.
Ein paar Tage Zeit brauchte Baselland, nachdem der Bundesrat per 12. März den Schutzstatus S für Flüchtlinge aus der Ukraine aktiviert hatte. Doch am Mittwoch informierte das kantonale Sozialamt, was Gemeinden oder Privatpersonen alles beachten müssen, wollen sie Menschen, die aus dem Kriegsgebiet geflohen sind, eine Unterkunft bieten. Dabei stellt der Kanton auch klar, dass er selbst bloss als Koordinator auftritt. In der Hauptverantwortung stünden die Gemeinden.
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In den vergangenen drei Tagen wurden dem Kanton Baselland vom Bund 150 Personen aus der Ukraine zugewiesen, heisst es in einer Mitteilung. Sie wurden über die Gemeinden untergebracht oder wohnen bei Privatpersonen. Schweizweit sind bisher 5000 Flüchtlinge registriert. Der Bundesrat geht von bis zu 50'000 Ukrainerinnen und Ukrainern aus, die in die Schweiz kommen. Der Baselbieter Asylkoordinator Rolf Rossi geht auf Anfrage der bz davon aus, dass Baselland gemäss dem bestehenden Verteilschlüssel im Asylbereich 3,7 Prozent aufnehmen muss: «Ich rechne also mit rund 2000 Flüchtlingen, die wir unterbringen müssen.»
Der Bund weist den Kantonen in Abhängigkeit ihrer Grösse Flüchtlinge zu. Der Kanton hält aber unmissverständlich fest: Für die Unterbringung und die Betreuung sind die Gemeinden zuständig. Der Kanton überwacht und koordiniert die Lage. Die Gemeinden müssen sicherstellen, dass schutzbedürftige Personen zum Zeitpunkt der Zuweisung «eine den Bedürfnissen entsprechende Unterkunft erhalten». Dies kann in kollektiven oder individuellen Unterkünften sein. Schutzbedürftige dürfen auch bei Privatpersonen untergebracht werden. Diese sollten es aber der Gemeinde melden. Eine kantonale Unterkunft wie das per Anfang April bereitstehende alte Spital Laufen mit seinen 150 Plätzen dient explizit bloss als Entlastungsmassnahme und nicht als Ersatz für Gemeindeunterkünfte.
Die 150 bisher zugewiesenen Flüchtlinge stellen noch kein Problem dar. Doch da der Kanton mit stetig steigenden Zahlen rechnet, schlägt er bereits Alarm. «Aktuell fehlen bis zu 1000 Plätze in den Gemeinden», schreibt er in seiner Mitteilung. Denn jede einzelne Gemeinde ist verpflichtet, so viele Asylsuchende aufnehmen zu können, dass es 1,4 Prozent der Wohnbevölkerung entspricht. Gemäss Asylquotenstatistik von Ende Februar, welche der bz vorliegt, (über-)erfüllen diese Quote lediglich Binningen, Bottmingen, Münchenstein, Laufen, Zwingen, Liestal, Tecknau, Hölstein, Lauwil, Niederdorf und Waldenburg. Allschwil, Muttenz und Oberwil sind von der Quote entbunden, weil sie Plätze in Bundeszentren bereitstellen. Der Grossteil der 86 Gemeinden bietet zu wenige Plätze an. So fehlen in Pratteln 93, in Aesch 88, in Arlesheim 84 und in Sissach 61 Plätze.
Asylkoordinator Rolf Rossi sagt klar: «Die Dringlichkeit ist hoch, dass die Gemeinden so schnell wie möglich ihre Aufnahmequote erfüllen.» Nicht nur würden immer mehr neue Flüchtlinge zugewiesen, auch glaubt Rossi, dass längst nicht alle Privatpersonen, die Ukrainerinnen und Ukrainer beherbergen, dies für mehrere Monate tun werden. Diese Personen müssten dann zusätzlich in Gemeindeunterkünften unterkommen. Bereits vor Kriegsausbruch am 15. Februar und nochmals am 9. März hatte das Sozialamt die Gemeinden in einem Schreiben aufgefordert, bis spätestens Ende März weitere verfügbare Plätze zu melden. «Trotz mehrfacher Aufforderung sind viele Gemeinden diesem Meldeaufruf noch nicht nachgekommen», schreibt der Kanton in seiner Medienmitteilung. In einem dritten Brief beharrte Baselland gestern erneut auf dieser Deadline. Rossi ergänzt: «Gerne darf man sich auch früher melden.»
Matthias Gysin, Geschäftsführer des Verbands Basellandschaftlicher Gemeinden (VBLG), erklärt auf Anfrage die niedrigen Asylquoten: «In den vergangenen Jahren bestand schlicht kein Bedarf nach mehr Wohnraum für Asylsuchende – nicht einmal während des Syrien-Krieges.» Er zeigt sich überzeugt, dass die Gemeinden Unterbringungsmöglichkeiten organisieren werden, doch brauche dies Zeit. Durch den Schutzstatus S gehe es viel schneller als sonst, bis Flüchtlinge in den Gemeinden seien, deshalb hoffe er auf Verständnis von Seiten des Kantons. Und Gysin fügt an: «Am Schluss geht es um die vor einem Krieg geflüchteten Menschen. Wir alle wollen doch helfen. Ein Schwarzer-Peter-Spiel hilft da nicht weiter.»
Das Sozialamt lobt die grosse Solidarität der Baselbieter Bevölkerung. Unzählige Anrufe seien in den letzten Tagen beim Sozialamt oder den Gemeinden eingegangen. Rund 100 Personen hätten sich bisher gemeldet, die Plätze für Geflüchtete anbieten wollen. Nicht berücksichtigt sind dabei aber etwa Angebote auf Onlineplattformen wie Campax.org. Dort werden für Baselland derzeit fast 1900 Betten in 700 Zimmern aufgeführt.
«Kriegsflüchtlinge bei sich zuhause unterzubringen, ist herausfordernd. Die wenigsten wissen, wie belastend dies sein kann», sagt Rossi. Der Kanton weist darauf hin, dass der Wohnraum nicht zu klein sein dürfe und genügend Privatsphäre sowie Zugang zu Sanitäranlagen und Kochmöglichkeiten bieten müsse. Auch sollten Private bereit sein, die Flüchtlinge während mindestens drei Monaten bei sich wohnen zu lassen. Wichtig: Auch bei privater Unterbringung sollten alle Flüchtlinge möglichst rasch der Gemeinde gemeldet und im Bundesasylzentrum Basel an der Freiburgerstrasse 50 registriert werden. Nur so erhalten sie den Schutzstatus S, dank dem sie Sozialhilfe erhalten, krankenversichert werden und arbeiten können. Ansonsten haben sie bloss Anrecht auf Nothilfe.
Nein. Lediglich eine Nebenkostenpauschale von 100 Franken pro Person kann ausgerichtet werden, wenn die Schutzbedürftigen von der Sozialhilfe unterstützt werden.
«Kinder im schulpflichtigen Alter haben das Recht und die Pflicht, die Schule zu besuchen», heisst es beim Kanton. Einige Gemeinden haben deshalb bereits spezielle Angebote geschaffen. So hat der Allschwiler Gemeinderat am Mittwoch die Anstellung einer Klassenlehrperson abgesegnet, die eine Mehrjahrgangs-Fremdsprachenklasse mit geflüchteten Kindern leiten soll. Zwar sei derzeit noch nicht absehbar, wie viele Familien aus der Ukraine nach Allschwil kommen, sagt die zuständige Gemeinderätin Silvia Stucki zur bz. Doch die für eine Fremdsprachenklasse nötige Mindestzahl von sechs Kindern werde man in nächster Zeit mit Sicherheit erreichen, ist Stucki überzeugt. Bereits fünf ukrainische Kinder wurden an der Primarschule Reinach angemeldet, wie Gemeinderätin Béatrix de Sury sagt. Man rechne aber mit 20 bis 25 Kindern. Die bestehende Fremdsprachenklasse könne aufgestockt und bei Bedarf temporär eine zweite Klasse gebildet werden. Das Personal dafür sei bereits akquiriert worden.
Die erste Anlaufstelle sei immer die Wohngemeinde, betont der Kanton. Das Sozialamt hat aber neu auch eine Hotline für Fragen zur Unterbringung und Unterstützung der Flüchtlinge eingerichtet: 061 552 75 00, jeweils werktags 8.30-12 Uhr und 14-16.30 Uhr.
Mitarbeit: Hans-Martin Jermann