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Das Baselbieter Kantonsgericht bestätigt den Freispruch. Kommt Fall nun vors Bundesgericht?
«Eine gesetzliche Norm, welche das ‹Stealthing› ausdrücklich unter Strafe stellen würde, existiert in der Schweiz zweifellos nicht», schreibt das Kantonsgericht im am Montag veröffentlichten schriftlichen Urteil. Es bestätigt damit einen Freispruch des Baselbieter Strafgerichtes vom Januar 2019.
Der Fall ist über zwei Jahre alt: Im August 2017 bestellte ein heute 36-jähriger Maurer eine Escort-Dame in seine Wohnung nach Gelterkinden. Abgemacht war Sex mit Kondom, doch bei einem Wechsel der Stellung entfernte der Mann das Kondom heimlich, was als sogenanntes «Stealthing» bezeichnet wird. Staatsanwältin Ludovica Del Giudice hatte den Fall als Schändung angeklagt und eine bedingte Freiheitsstrafe von 14 Monaten verlangt. Nach dem Freispruch hatte sie den Fall weitergezogen, unterlag nun aber auch dort.
Bei Schändung geht es um die Widerstandsunfähigkeit des Opfers, etwa um die Frage, ob jemand fähig ist, sich physisch gegen ungewollten Sex zu wehren. Wie schon das Strafgericht kommt nun auch das Kantonsgericht zum Schluss, dass es in dem Gelterkinder-Fall um gewollten Sex ging. Dass der Mann die Bedingungen nicht eingehalten habe, sei zwar «moralisch verwerflich», könne aber nicht bestraft werden, wie wenn er ungewollten Sex erzwungen hätte.
Auch fanden die Richter, eine professionelle Sexarbeiterin hätte nach dem Stellungswechsel etwa mit einem Kontrollgriff überprüfen können, ob der Kunde das Kondom noch trage. «Zu betonen ist diesbezüglich, dass Sexualdelikte nicht dazu dienen, die Ehrlichkeit im Zusammensein zu schützen. Unanständiges Verhalten bleibt, solange keine Rechtsgutverletzung vorliegt, straffrei», so das Urteil. Ansonsten müsse man etwa auch die Strafbarkeit prüfen, wenn eine Frau ihren Partner täusche, indem sie vorspiele, dass sie die Pille einnehme.
Ob der Freispruch rechtskräftig wird, ist noch unklar: Die Baselbieter Staatsanwaltschaft dürfte den Fall wohl ans Bundesgericht weiterziehen, ein Entscheid ist aber noch nicht gefallen. Die Frist dazu beträgt 30 Tage. Eine mündliche Hauptverhandlung führte das Gericht nicht durch: Alle Parteien waren damit einverstanden, dass die Rechtsfragen in einem schriftlichen Verfahren behandelt werden.
Die zivilrechtliche Seite des Strafgerichtsurteils vom Januar 2019 wurde nicht angefochten und ist bereits rechtskräftig: Die gleichaltrige Frau unterzog sich damals sicherheitshalber einer HIV Postexpositions-Prophylaxe, die bescheidenen Kosten von 41 Franken und 65 Rappen muss der Mann übernehmen. Ebenfalls sprach das Gericht der Frau eine Genugtuung von 2000 Franken zu, gefordert hatte sie 15'000 Franken. Trotz des Freispruchs bleiben auch die Verfahrenskosten von 7500 und die Gerichtsgebühr von 8000 Franken an dem Mann hängen, auch erhält er für die zwei Tage in Untersuchungshaft keine Entschädigung. Der Mann ist bereits hoch verschuldet, auch mit der Alimente für seine 13-jährige Tochter war er im Rückstand. Für den Escort-Service bezahlte er an jenem Abend 400 Franken.