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Anwohner und Fachleute sind sich uneinig, was mit Mahnmalen, die an Unfallopfer erinnern, nach einer gewissen Zeit passieren soll. Ein Beispiel dafür ist ein weisses Velo in Liestal.
«Ich will, dass dieses weisse Velo wegkommt. Und das wollen auch meine Nachbarn.» Das fordert Peter Huber aus Liestal. Vis-à-vis seinem Haus an der Kreuzung Militärstrasse-Rosenstrasse unmittelbar beim Hallenbad steht besagtes Velo seit etwas mehr als fünf Jahren angekettet an einem Kandelaber. Es erinnert an den tragischen Unfall im August 2015, bei dem eine Velofahrerin unverschuldet ums Leben kam.
Huber erzählt: «Wir waren damals die Ersten am Platz, standen dem Opfer bei, bis die Ambulanz kam, und leiteten den Verkehr.» Das Velo erinnere ihn immer wieder an diese Erlebnisse, und er habe die Stadt vergeblich gebeten, es zu entfernen. Damit stösst Huber, ein Stück weit selbst Opfer jenes Unfalls, eine delikate Diskussion an: Wie lange sollen Mahnmale, die an Unfallopfer erinnern, stehen bleiben?
Der Zufall will es, dass im Liestaler Stadtrat mit Marie-Theres Beeler eine Theologin für die Angelegenheit zuständig ist. Sie, die mit den Angehörigen schon in Kontakt stand, schickt voraus: «Für mich und für den Stadtrat ist im konkreten Fall entscheidend, dass das Mahnmal gepflegt wird und dass es den Verkehr nicht behindert.» Diese beiden Vorgaben seien beim weissen Velo erfüllt.
Dann wird Beeler grundsätzlicher: «Trauer verändert sich im Laufe der Zeit. Erinnerungen, die zu Beginn sehr hilfreich sind, verlieren an Bedeutung. Deshalb werden in der Regel die Gräber auf Friedhöfen nach 25 Jahren aufgehoben. Auch für das weisse Velo wird es einen Zeitpunkt geben, davon Abschied zu nehmen.» Doch Art und Dauer von Trauerprozessen seien individuell verschieden. Für die einen sei ein Mahnmal ein Erinnerungsort, der Trost spende, andere wollten nichts wissen davon. Manchmal würden auch Bekannte oder Freunde eines Unfallopfers ein Mahnmal aufstellen, um sich so mit der trauernden Familie zu verbinden. Und Beeler betont: «Wenn man ein Mahnmal in den Augen der Betroffenen zu früh wegnimmt, kann sie das kränken, weil sie immer noch leiden.»
Etwas zugespitzter formuliert es Mike Egle: «Wenn ein Mahnmal entfernt wird, bevor jemand den Verlust eines Angehörigen verarbeitet hat, dann ist das für ihn so, wie wenn die Person zum zweiten Mal aus dem Leben gerissen würde.» Egle leitet Kommunikation und Marketing bei der Organisation Road Cross Schweiz, die Unfallopfer und deren Angehörige berät und unterstützt. Für ihn haben Mahnmale für Unfallopfer zwei Bedeutungen: «Sie dienen den Betroffenen bei der Verarbeitung der Trauer oder sind Hinweise an die Allgemeinheit auf gefährliche Strassenstellen.» Damit komme ihnen auch präventive Wirkung zu.
Trauerprozesse sind sehr individuell. Deshalb gibt es dazu keine allgemeingültige Aussage.
(Quelle: Marie-Theres Beeler, Liestaler Stadträtin und Theologin)
Das funktioniere umso besser, je vertrauter die Verkehrsteilnehmer mit den Details eines Unfalls seien, weil sie etwa davon in den Medien gehört hätten. Parallel zur Zahl der Vorbeifahrten an einem Mahnmal gehe aber dessen Wirkung zurück. Road Cross selbst fördere das Aufstellen von Mahnmalen nicht aktiv, weil sie Verkehrsteilnehmer ablenken könnten. Aber seine Organisation würde auch nicht davon abraten. Auf die Frage nach der Zeitdauer, während der ein Mahnmal stehen bleiben soll, antwortet Egle praktisch gleich wie Beeler: «Trauerprozesse sind sehr individuell. Deshalb gibt es dazu keine allgemeingültige Aussage.»
Undogmatisch zeigt sich die Polizei. Adrian Gaugler, Mediensprecher der Baselbieter Polizei, sagt: «Wir sind der Auffassung, dass solche Mahnmale ohne konkrete zeitliche Beschränkung toleriert werden können, wenn sie die Verkehrssicherheit nicht gefährden und das Orts- und Landschaftsbild nicht verunstalten.» Zuständig dafür seien aber die Gemeinden. Die Polizei werde nur aktiv, wenn die Verkehrssicherheit beeinträchtigt sei.
Und Gaugler ergänzt: «Eine präventive Wirkung haben Mahnmale aus unserer Sicht nur, wenn die passierenden Verkehrsteilnehmer Kenntnis über den Unfallhergang haben und sich entsprechend vorsichtig verhalten.» Andernfalls nehme man einfach zur Kenntnis, dass hier ein Mensch gestorben sei, was auch andere Gründe haben könne.
In der Regel dienen Kreuze, Kerzen und Blumen als Mahnmal an Verkehrsopfer. Weiss gestrichene Velos sind erst in den letzten Jahren zu einem Erinnerungssymbol an tödlich verunfallte Velofahrer geworden. In Deutschland etwa stellen diverse Sektionen des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs solche Geisterräder genannten Velos ohne Absprache mit den Hinterbliebenen auf. Sie sollen nicht nur an die Unfallopfer erinnern, sondern auch zum rücksichtsvollen Umgang mit den schwächeren Verkehrsteilnehmern animieren. Zwei Jahre nach dem Unfall werden sie demontiert.