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Die Vorfälle im Frenkental zeigen: Trinkwasser ist oft auch ehemaliges Abwasser. Nun sollen zwei Massnahmen helfen, damit die einen Baselbieter nicht den verdünnten Urin der anderen trinken müssen.
Liestalerinnen trinken unter anderem den Urin der Waldenburger. Dies machten die beiden Zwischenfälle in der ARA Frenke 2 deutlich: Substanzen, welche oben im Tal ins Abwasser eingeleitet werden und in der ARA nicht vollständig eliminiert werden können, landen in der Frenke und gelangen von dort teilweise ins Grundwasser. Deshalb muss man die Trinkwasserbrunnen abstellen, sobald man in der Frenke eine massive Verschmutzung feststellt. «Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Abwasser- und den Trinkwassersystemen», erklärt Adrian Auckentaler, Leiter des Ressorts Wasser und Geologie in der Bau- und Umweltschutzdirektion. Dies gilt nicht nur für die Frenke: Trinkwasser kann in Anwiler Haushalten zu Abwasser werden, fliesst nach der Reinigung in der lokalen ARA in die Ergolz und wird womöglich bereits in Gelterkinden wieder als Trinkwasser aus dem Untergrund gepumpt. Dann läuft es via ARA in Sissach wieder in den Bach, um vielleicht in Liestal erneut als Trinkwasser ins Netz befördert zu werden.
Dabei wird das gereinigte Abwasser erstens verdünnt: einerseits im Bach, dem sogenannten Vorfluter, andererseits im Grundwasserstrom, der nicht nur durch Filtrat aus den Bächen, sondern auch durch Regen- und Hangwasser gespeist wird. In den Bächen ist die Verdünnung allerdings nur gering: In der Frenke fliesst je nach Jahreszeit bis zu einem Fünftel ARA-Wasser, in der unteren Ergolz bis zu einem Drittel. Dagegen beträgt im Rhein der Abwasser-Anteil nur 2 bis 3 Prozent. Ein Unfall wie die beiden in der Frenke in den letzten Wochen hätte also wegen der grösseren Verdünnung im Rhein weniger gravierende Folgen für die Fische gehabt.
Zweitens wird das Abwasser mehrfach gereinigt: zuerst in der ARA und dann im kiesigen Untergrund. Diese Reinigung ist so gründlich, dass das Wasser – überwacht durch das Kantonslabor – gemäss Lebensmittelgesetz einwandfreies Trinkwasser wird. Trotzdem zeigt das wiederholte Abschalten von Trinkwasserbrunnen: «Es wäre besser, wenn man das ARA-Wasser nicht oberhalb der Trinkwasserfassungen in die Bäche leitet, sondern unterhalb», erklärt Martin Schärer, Leiter der Sektion Gewässerschutz im Bundesamt für Umweltschutz (Bafu).
Die Reinigung ist nicht vollständig. Von den rund 30'000 chemischen Substanzen, die in unseren Alltagsprodukten vorkommen, tauchen die wasserlöslichen auch im Abwasser auf. Die bisherigen dreistufigen ARA können diese nicht entfernen. Also findet man unter anderem Medikamente wie Ibuprofen und den Voltaren-Wirkstoff Diclofenac (beides Entzündungshemmer und Schmerzmittel), das Röntgenkontrastmittel Iopamidol oder das Epilepsiemittel und Antidepressivum Carbamazepin auch in der Ergolz, denn all diese Stoffe werden mit dem Urin wieder ausgeschieden. Dies ergab eine 2012 publizierte Studie aus dem Baselbieter Amt für Umweltschutz.
Dabei war die Konzentration von Carbamazepin oberhalb der ARA Ergolz 2 in Füllinsdorf halb so gross wie unterhalb. Und im Grundwasser fand man unterhalb der ARA eine Konzentration, die teilweise höher war als im Bach oberhalb der ARA. Fazit: Gut wasserlösliche Stoffe durchlaufen zuerst die ARA und sickern dann aus der Ergolz auch ins Grundwasser.
Dabei ging es bei allen untersuchten Stoffen um Konzentrationen im Millionstel-Gramm-Bereich. Die US-Umweltbehörde stellte fest, dass man ein Leben lang täglich drei Liter Wasser trinken müsse, bis man bei Carbamazepin eine therapeutische Tagesdosis zu sich genommen hat. Doch es geht nicht nur um eine Substanz, sondern um unzählige. Wie dieser Zivilisationscocktail langfristig auf den Menschen wirkt, weiss man nicht. Und rund die Hälfte des Baselbieter Trinkwassers stammt aus dem Grundwasser.
Entsprechend muss man nun handeln:
Man leitet schon heute das Wasser der ARA Ergolz 2 erst einige hundert Meter weiter unten in die Ergolz, um so einen Abschnitt zu umgehen, auf dem das Bachwasser besonders intensiv ins Grundwasser sickert.
2014 beschloss der Bund, dass die 100 grössten ARA der Schweiz eine vierte Reinigungsstufe bekommen, die mit Aktivkohle die Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser entfernt.
Die ARA Frenke 2 sollte deshalb aufgehoben und mit der ARA Frenke 3 in Bubendorf zusammengelegt werden. Diese sollte die vierte Stufe bekommen. Dafür hatte der Landrat bereits 52 Millionen Franken bewilligt. Nachdem nun der Bund beschlossen hat, auch die Kanalisation in die nächste ARA zu drei Vierteln zu finanzieren, hat der Kanton dieses Projekt gestoppt. Derzeit laufen zwei Studien: Die eine klärt, wie die Kanalisation ausgebaut werden muss, damit man die ganzen Frenkentäler-Abwässer in die ARA Ergolz 2 leiten kann. Die zweite dreht sich um den Ausbau der ARA Ergolz 2. Es wird zudem vorausschauend geprüft, ob langfristig auch die ARA Ergolz 1 in Sissach abgeleitet werden könnte.
Pascal Hubmann, Leiter des Amts für Industrielle Betriebe, rechnet damit, dass die Studien im Sommer fertig werden, bis Ende Jahr der Landrat die Mittel für die Projektierung von Ergolz 2 bewilligen kann. «Wir folgen dem Schweizer Megatrend zu grösseren, zusammengelegten ARA.» Zudem wird diese unterhalb der meisten Trinkwasserbrunnen zu stehen kommen – für den Fall, dass, wie jetzt bei Frenke 2, wieder einmal etwas schiefgeht.