Lockerungsmassnahmen
Bundesrat sorgt für Freude und Fragen in der Basler Kulturszene

Die neuen Corona-Bestimmungen sorgen für Erleichterung – aber auch für Irritationen.

Stefan Strittmatter, Hannes Nüsseler
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Besucherin mit Gesichtsmaske in der Fondation Beyeler vor einem Gemälde von Edward Hopper.

Besucherin mit Gesichtsmaske in der Fondation Beyeler vor einem Gemälde von Edward Hopper.

Keystone

«Eine tolle Nachricht», strahlt Sabine Himmelsbach, Direktorin am Haus der elektronischen Künste Basel (HeK), nur wenige Stunden nach der Ankündigung des bisher grössten Lockerungsschrittes für die Kultur (siehe unten). Ihr Bild wackelt, ihre Stimme «glitcht»: Das HeK wagt ein Experiment – eine Online-Vernissage zur Eröffnung der Ausstellung «Schweizer Medienkunst».

Sogar im Kompetenzzentrum für Medienkunst stösst die Technologie an ihre Grenzen. «Wir hoffen natürlich, dass wir unsere Gäste zur nächsten Eröffnung wieder physisch begrüssen können», schreibt die Kommunikationsbeauftragte Elena Kuznik auf Anfrage. Schon ab kommenden Samstag finden wieder Veranstaltungen und Führungen statt, vorerst nur für fünf Personen. Ab 6. Juni sind dann auch grössere Gruppen bis zu 30 Teilnehmenden möglich.

KUNST

«Dass nun unser Vermittlungsprogramm nicht nur digital, sondern im direkten Vis-à-Vis wieder stattfinden kann und wir alle unsere Angebote ab sofort planen und anbieten können, ist ein grosses Geschenk und eine grosse Freude für uns alle», sagt auch die Direktorin des Kunsthauses Baselland, Ines Goldbach.

Das Kunstmuseum Basel arbeite ebenfalls daran, Veranstaltungen und Führungen bald wieder ins Programm aufnehmen zu können, erklärt Karen Gerig, Leiterin Kommunikation. Dabei stellen die Abstands- und Hygieneregeln eine Herausforderung dar: «Momentan gibt es eine Personenbeschränkung in den einzelnen Ausstellungsräumen aufgrund der Distanzregeln. Bei Führungen für grössere Gruppen wird es wohl kaum mehr möglich sein, diese einzuhalten.» Entsprechend muss das Sicherheitskonzept angepasst werden.

Durch die neuen Bestimmungen ändert sich für die Fondation Beyeler relativ wenig. Grössere Änderungen ergeben sich hier wohl erst, wenn wieder Gäste aus dem Ausland zu Besuch kommen dürfen.

Durch die neuen Bestimmungen ändert sich für die Fondation Beyeler relativ wenig. Grössere Änderungen ergeben sich hier wohl erst, wenn wieder Gäste aus dem Ausland zu Besuch kommen dürfen.

Mark Niedermann

Für die Fondation Beyeler ändere sich durch die neuen Bestimmungen dagegen nur wenig, schreibt die Kommunikationsbeauftragte Silke Kellner-Mergenthaler: «Die einzige grössere Veränderung kommt mit der Grenzöffnung am 15. Juni, wenn wir wieder Besuchende aus den Nachbarländern empfangen dürfen.»

Die auf September verschobene Art Basel sieht sich vom aktuellen Bundesratsentscheid nicht betroffen, da Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen nicht erwähnt wurden. «Wir analysieren im Moment, wie sich die aktuelle Situation auf die Durchführbarkeit auswirkt», erklärt Kommunikationsleiterin Dorothee Dines.

POP/ROCK/JAZZ

Deutliche Worte zu den neuen Regelungen findet Tino Krattiger von «Im Fluss». Auf die Frage, ob unter den genannten Bedingungen Konzerte machbar seien, antwortet er knapp: «Nein!» Das Floss könne mit einer Beschränkung auf maximal 300 Besucher nicht verlustfrei oder gar gewinnbringend planen. Bereits im Mai hatte er seine Konzertreihe in den September verschoben. Dann, so hofft er, seien auch Grossveranstaltungen wieder möglich.

Wenig glücklich zeigt sich auch Urs Blindenbacher vom Jazzfestival Basel. In seinem Newsletter schreibt er, die Planungssicherheit sei nicht verbessert worden. Offen sei vor allem die Frage, welche Distanz bei den Abstandsregelungen gelte. Auch beanstandet er, dass für Veranstaltungen ab 300 Leuten weiterhin nichts klar sei: «Ende Juni kommt der Entscheid viel zu spät.» Da sein Festival auf mehrere Spielorte verteilt ist, sieht sich Blindenbacher bei jedem Konzert mit einer anderen Situation konfrontiert.

Bei den zugkräftigeren Acts zieht er eine Halbierung der Zuschauer durch zweifache Durchführung des Konzertes in Betracht. Bei allem Pragmatismus macht er aber aus seinem Zorn keinen Hehl: In einem offenen Brief hinterfragt Blindenbacher, wieso für Gottesdienste weniger strickte Bestimmungen gelten als für Konzerte. Und er wundert sich, dass in Flugzeugen offenbar keine Abstandsregeln gelten. Es seien «schwierige Zeiten», sagt er abschliessend. Aber: «Improvisation ist Trumpf!» Das sei im Jazz schon immer so gewesen.

Das Bird's Eye plant, sein Programm am 10. Juni wieder aufzunehmen, sagt der künstlerische Leiter Stephan Kurmann. In Bezug auf die neuen Regelungen zeigt auch er sich kritisch: «Über die Richtigkeit der Ursachen und Statistiken und über die Notwendigkeit der Massnahmen gibt es unzählige Fragen.» Das Bird's Eye funktioniere ohnehin nicht gewinnbringend und nur dank «breit angelegter Unterstützung», so Kurmann. Doch seien Konzerte jeweils ein «Erlebnis von Publikum und Musikern in engem Kontakt», insofern fielen die Einschränkungen «extrem ins Gewicht».

 Konzerte im Atlantis wie hier Amixs an der BScene 2019 machen wirtschaftlich wohl wenig Sinn, wenn jeder zweite Stuhl leer bleiben muss.

Konzerte im Atlantis wie hier Amixs an der BScene 2019 machen wirtschaftlich wohl wenig Sinn, wenn jeder zweite Stuhl leer bleiben muss.

Marc krebs

Gemäss Lawrence Pawelzik vom Verein FOER, der Atlantis und Parterre One bespielt, sei nun abzuklären, inwiefern sich ein Konzert rechne, bei dem jeder zweite Stuhl leer bleibe: «Das macht wirtschaftlich vermutlich keinen Sinn». Konzerte seien aber wegen der Sommerpause ohnehin nicht so viele betroffen. Der Verein habe ein neues Mandat in den Langen Erlen, wo man eine Freiluftbühne bespielen könne. Ebenfalls seien Dayparties angedacht, an denen unter Einhaltung der Sperrstunde um Mitternacht gefeiert werden könne.

Die Sperrstunde macht auch der Kaserne zu schaffen, wie der musikalische Leiter Sandro Bernasconi sagt: «Es wird schwierig, unter den Bedingungen Parties zu veranstalten, die sonst nach Einbruch der Dunkelheit beginnen.» Konzerte dagegen seien mit einer Limite von 300 Besuchern machbar. Dies sei lediglich eine Frage von Aufwand und Ertrag. Wie stark die neuen Massnahmen finanziell ins Gewicht fallen, sei vorerst noch nicht abschätzbar, so Sandro Lunin, künstlerischer Leiter der Kaserne: «Doch entsteht sicher zusätzlicher Aufwand für das Kassen- und Einlasspersonal.»

THEATER

In Bezug auf die Theatervorführungen in der Kaserne sieht Sandro Lunin weitere offene Fragen. So sei unklar, was auf der Bühne erlaubt sei und wie die Proben neuer Stücke in der freien Theater- und Tanzszene gehandhabt werden müssten. Man wolle das Programm am 12. Juni wieder aufnehmen. Nach dem Umbau in der Reithalle und den Rossställen hoffe man, das Theaterfestival Basel vom 26. August bis 6. September wie geplant zu veranstalten, so Lunin.

Das Theater Basel wird bereits früher wieder kleine Vorstellungen vor Publikum spielen. «Schon jetzt zeigen wir mittags um 12 Uhr kleine Programmjuwelen vor dem Foyer des Schauspielhauses», schreibt die Medienverantwortliche Claudia Brier auf Anfrage und kündigt weitere Termine an: Vom 8. bis 18. Juni wird auf der Bühne des Schauspielhauses unter dem Arbeitstitel «Hereinspaziert!» ein halbstündiges Programm aus den Sparten Oper, Schauspiel und Ballett präsentiert. Und am 9. Juni findet auf der Batterie auf dem Bruderholz die Premiere von «Draussen vor der Tür» von Wolfgang Borchert statt.

 Etwas früher als die Kaserne nimmt das Theater Basel seinen Betrieb wieder auf: Bereits ab dem 8. Juni wird wieder Theater auf der grossen Bühne gespielt.

Etwas früher als die Kaserne nimmt das Theater Basel seinen Betrieb wieder auf: Bereits ab dem 8. Juni wird wieder Theater auf der grossen Bühne gespielt.

Kenneth Nars

Am 10. Juni wird die Helmut Förnbacher Theater Company mit einem um eine Woche verlängerten Spielplan an den Start gehen. «Endlich wieder Theater», freut sich Helmut Förnbacher, auch wenn das nur mit Auflagen geschehe: weniger Zuschauerinnen und Zuschauer, Abstand, Anwesenheitslisten, Hygiene-Regeln. «Das Positive an dieser theaterlosen Zeit: Wir haben wieder einmal spüren dürfen, wie wichtig Kultur für die Menschen ist.»

Ab September möchte auch das Theater Fauteuil seinen Betrieb wieder aufnehmen. «Wir freuen uns», erklärt Ko-Leiter Claude Rasser. «Gleichzeitig sind noch viele Fragen offen, was die konkrete Umsetzung eines Schutzkonzeptes betrifft.» Dieses werde in den nächsten Wochen und Monaten erarbeitet. «Weil niemand weiss, wie sich die epidemiologische Lage entwickeln wird, müssen wir flexibel sein.»

KLASSIK

Christoph Gloor von der Casino-Gesellschaft hofft, dass die Eröffnung des Casino-Neubaus am 22. August in einem Rahmen durchgeführt werden könne, der «ein unvergessliches Erlebnis ermöglicht, ohne die Gesundheit zu gefährden». Seine weitere Sorge gilt den Veranstaltern und Ensembles, die sich mit einer sehr schweren Situation konfrontiert sehen. Ob sich Konzerte mit beschränkter Platzzahl rechnen, das müssten die jeweiligen Veranstalter beantworten.

Im Falle des Sinfonie Orchester Basel (SOB) seien Konzerte mit maximal 300 Besuchern «definitiv nicht» ohne finanzielle Verluste durchführbar, sagt Frank Engelhaupt. Entsprechend fänden die nächsten Konzerte (beispielsweise am 17./18. Juni im Münster) mit reduzierter Orchesterbesetzung vor limitiertem Publikum statt. Eine ungeklärte Frage sei, ob bei der Obergrenze von 300 Personen die Mitwirkenden inbegriffen sind.

Marcel Falk vom Kammerorchester wünscht sich baldige Klärung für Veranstaltungen mit 300 bis 1000 Personen – «Das ist unsere avisierte Grössenordnung.» Ansonsten unterscheidet er zwischen den Eigenveranstaltungen in Basel und den Fremdbookings: «Werden uns Veranstalter unter diesen Bedingungen für Konzerte verpflichten?» Sicher sei: «Mit 300 Besuchern ist es unmöglich, finanziell auch nur halbwegs auf einen grünen Zweig zu kommen.»

Die Sinfonietta Basel hält sich alle Möglichkeiten offen und bleibt flexibel.

Die Sinfonietta Basel hält sich alle Möglichkeiten offen und bleibt flexibel.

Martin Toengi

Diese Einschätzung teilt Felix Heri, Geschäftsführer der Sinfonietta. Entsprechend sei es wichtig, für die kommenden Projekte genügend Flexibilität zu haben. Aus diesem Grund habe man das Abo Surprise erschaffen. Alles Weitere sei Teil der jetzigen Planung und Analyse: «Wir lassen uns sämtliche Möglichkeiten offen.»

LITERATUR

Die Begegnung zwischen Autorinnen und Autoren und dem Publikum steht für das Literaturhaus Basel im Mittelpunkt. «Ich bin überzeugt, dass das Bedürfnis danach auf allen Seiten gross ist», erklärt Intendantin Karin Eckert. Bei einem Mindestabstand könnten bis zu 25 Personen im Literaturhaus untergebracht werden. «Ohne Abstand im Saal zu sitzen und nur die Adresse zu hinterlegen, halten wir im Moment allerdings nicht für angebracht.» Vor der Sommerpause gebe es deshalb keine Veranstaltungen im Saal, sondern draussen, «in lockerer Atmosphäre». Ab Ende August soll der Betrieb im Literaturhaus wieder aufgenommen werden.

KINO

Über eine «Rückkehr zur sozialen Nähe in sicherem Abstand» freut sich das Stadtkino Basel. Doch zuerst müssen Hygienevorschriften angepasst, Abläufe überdacht und ein Programm erstellt werden, erklärt Ko-Leiterin Nicole Reinhard. «Jetzt geht es darum, kreativ auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren. Und dass eine Kino-Belegung von immerhin 50 Prozent möglich ist, spornt uns zusätzlich an.» Los geht es am 6. Juni.

Das Kultkino setzt bei den Schutzmassnahmen auf Online-Ticketing, das mehrere Vorteile mit sich bringt.

Das Kultkino setzt bei den Schutzmassnahmen auf Online-Ticketing, das mehrere Vorteile mit sich bringt.

Martin Toengi

Zeitgleich startet auch das Kultkino. «Für uns und unser Publikum ist es nicht vorstellbar, freiwillig länger als nötig die Kinos geschlossen zu halten», sagt Ko-Geschäftsleiter Tobias Faust. Bei den Schutzmassnahmen setzt das Kultkino auf Online-Ticketing, mit zwei Vorteilen: «Zum einen müssen Daten wie Vorstellung und Sitzplatz nur um wenige Personaldaten ergänzt werden. Zum anderen können wir so Warteschlangen im Foyer vermeiden.» Besucher wählen ihre Sitzplätze verbindlich, Nachbarplätze werden automatisch gesperrt.

Auch das Gässli Film Festival fühlt sich durch die besonderen Umstände motiviert, schreibt Christof Hofer von der Geschäftsleitung: «Der Bund gibt die Grundlagen – wir reagieren darauf.» Die Obergrenze von 300 Personen sei ausreichend, da bei einer Normalbelegung ohnehin nicht mehr als 200 Personen im Gerbergässlein untergebracht würden.

Die neuen Regeln für Veranstaltungen

Nach fast drei Monaten ohne kulturelle Veranstaltungen sind ab dem 6. Juni Konzerte, Ausstellungen, Kinovorführungen und Lesungen unter Auflagen wieder gestattet. Folgenden Auflagen hat der Bundesrat bei seiner Medienkonferenz am Mittwoch, 27. Mai, genannt:

- Platz-Beschränkung: Das oberste Besucherlimit liegt bei 300 Personen. Events ab 300 Personen sind bis auf weiteres verboten, Grossveranstaltungen ab 1000 Personen bis mindestens Ende August.

- Social-Distancing: Die Abstand-Regeln müssen eingehalten werden. Dies dürfte in einem bestuhlten Saal leichter umzusetzen sein als an Veranstaltungen mit Stehplätzen und Laufpublikum. Unklar ist, ob hier auch die 2-Meter-Regelung gilt wie im Freien.

- Im Sinne des Contact-Tracing müssen Präsenzlisten der Besucher geführt werden, um im Falle einer Infektion eine Rückverfolgung zu gewährleisten.

Nicht gänzlich klar wurde bei der Medienkonferenz, wie die Massnahmen zusammenspielen. Beispielsweise, ob Präsenzlisten nur dann geführt werden müssen, wenn die Abstandswahrung nicht gewährleistet ist. Mehrfach appellierte der Bundesrat dagegen an die Eigenverantwortung der Betreiber, für ihren jeweiligen Fall ein Sicherheitsdispositiv zu erarbeiten und umzusetzen. Der Bundesrat will voraussichtlich am 24. Juni über weitere Schritte informieren. (bz)