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Basel
Die Basler Regisseurin setzt sich in ihrem Dokumentarfilm «I’ll Be Your Mirror» mit ihrer Familiengeschichte auseinander.
Das Albinokrokodil treibt unbewegt im Wasser. Ein Kind klopft an die Scheibe des Aquariums und winkt wild mit seinen Armen – Stille. Dann eine Stimme aus dem Off. Leer fühle sich Johanna, die Regisseurin, und verstehe nicht warum. «Ich hatte gedacht, Mutter zu sein, das würde mich erfüllen.» Doch sie sehne sich nach ihrer Kunst. Mit einer Handkamera schwenkt sie auf ihr Spiegelbild.
Wir sehen darin die Basler Filmemacherin Johanna Faust, die ihre Kunst und ihre Kinder liebt. Die Tochter, die sich in «I’ll Be Your Mirror» vor der Kamera mit dringlichen Fragen an ihre Mutter wendet. Die Enkelin, die herausfinden will, ob sie einen Teil der Sehnsüchte ihrer Grossmutter in sich trägt. Und schliesslich eine Künstlerin, die an dem Erwartungsdruck – der auf ihr, der berufstätigen, dreifachen Mutter lastet – zu zerbrechen droht.
«Männliche Kollegen wären für diese Entscheidung nicht verurteilt worden», betont Faust, die sich durch diesen Zwiespalt filmisch mit der eigenen Familiengeschichte auseinandersetzte. Fausts Début, mit dem ihr das eindringliche Porträt einer Selbstsuche gelungen ist, feierte 2019 am Zürcher Filmfestival Weltpremiere. Wir treffen die Baslerin im Kultkino, das den 90-minütigen Film an diesem Abend vor ausgebuchten Reihen zeigt.
Den Film vor Heimpublikum zu spielen, sei nochmal etwas anderes, sagt Faust mit Nachdruck. «Im Schnittraum in Berlin wurden wir alle zu Figuren», erinnert sie sich. Diese Distanz habe sie in Basel ein Stück weit verloren, sagt sie. Besonders weil der Film sie und ihre Familie schonungslos zeige. Diese Entscheidung habe sie nie in Frage gestellt. Privates werde zu Politischem und ihre eigene Familie zu einem universellen Beispiel für grosse, gesellschaftliche Fragen.
Die Strukturen, die eine Vereinbarkeit mit der Familie ermöglichen, seien für Frauen in der Kunstszene nicht vorhanden, betont die Mittvierzigerin, die als 14-Jährige Zuflucht in der Malerei fand. Mit dem Film habe sie nun ihr Medium gefunden. In Zusammenarbeit mit der Filmerin Ute Freund richtet sie die Kamera sowohl auf die feinen Zwischentöne als auch auf schmerzliche Realitäten.
Faust trägt ihre Haare kürzer als auf der Leinwand. Sieben Jahre sind vergangen, seit sie ihre Mutter vom Flughafen Basel abholte. Aus deren Besuch anlässlich einer Familienfeier wurde eine jahrelange Spurensuche. Faust und ihr Partner Jeremias Holliger kehrten mit ihren Kindern 2014 aus Berlin nach Basel zurück. Während Holligers Studium bei Olafur Eliasson hatte Faust fünf Jahre lang Haushalt und Kinder fast im Alleingang gestemmt. «Für mein Künstlerdasein wurde es immer enger», erinnert sich die diplomierte Farbgestalterin.
«Ich merkte, wie sehr mich diese Sehnsucht bewegte, wie sehr aber auch die Kinder meine Präsenz forderten», betont Faust. Dann bewarb sie sich für einen Kunst-Masterstudiengang in Oxford und wurde angenommen. Die familiären Strukturen gerieten ins Wanken. «Johanna hat ihren Raum eingefordert, und das war gut so», betont Holliger, der seine Rolle des sich gleichwertig einbringenden Vaters als «Prozess» bezeichnet. Erst durch diesen sei ihm, der selbst aus einer konventionellen Familienstruktur stamme, bewusst geworden, was es bedeute, die mentale Beanspruchung seiner Partnerin zu teilen.
Bereits in den ersten Mutter-Tochter-Gesprächen wird klar: Die Fragen nach den Untiefen und Fallhöhen des Mutterseins prägten bereits die Frauenbiografien von Fausts Ahninnen. Johannas Grossmutter wuchs im Spannungsfeld zwischen Unkonventionalität und Angepasstheit auf. Die damalige Studentin an der anthroposophischen Kunstschule in Dornach gab ihre Tochter bei zwei Erzieherinnen ab. Die Traumata der Vereinsamung, von denen Johannas Mutter vor der Kamera mit brüchiger Stimme erzählt, wiegen schwer.
Ihre Mutter, die an einer bipolaren Störung gelitten habe, sei zwar physisch anwesend gewesen, oft aber nicht wirklich präsent, sagt Johanna Faust. «Ich begann erst während des Drehs zu verstehen, wie ihre Kindheit sie geprägt hat», betont die Regisseurin.
Der sehnsüchtige, mitunter schwermütige Duktus wird durch sonnengetränkte Roadmovie-Elemente bereichert. Bildgewaltig sucht Faust in den Weiten des Grand Canyons, während einer mexikanischen Hochzeit oder gestrandet neben der Autobahn nach inneren Zuständen. Klassische Interviewelemente werden mit tobenden Kindern in Zeitlupe und altem Videomaterial unterfüttert. Nach sich selbst suchen alle verschieden. «Die Johanna macht daraus eben einen Kinofilm», scherzt ihre Mutter auf der Leinwand.
Der Dokumentarfilm «I'll Be Your Mirror» läuft im Kultkino.