Der Baselbieter Fotograf Theodor Strübin (1908–1988) hat sich vor 70 Jahren besonders für den «Funggesunntig» begeistert.
Vor 120 Jahren brannte die alte Baselbieter Dorffastnacht auf Sparflamme: Statt Höhenfeuern, Radau in den Gassen und vermummten Bettelscharen gab es von den Schulen und Dorfvereinen organisierte Maskenbälle sowie Laternen- und Faschingsumzüge, an denen Prinz und Prinzessin Carneval (!) in Erscheinung traten. «Um 1900», so zitiert der Volkskundler Eduard Strübin einen Zeitzeugen, «glichen die Liestaler Züge dem Zürcher Sechseläuten.» Aua.
Nach jahrhundertelangem Stänkern über das «Zächen and Prassen», das «vnsinnige hin und wider laufen vff den Gassen» und das maskierte «vmbziehen mit tromen und pfeiffen» hat die Obrigkeit dem fasnächtlichen Treiben zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast vollständig die Luft abgedreht. Selbst das bei den Bauern besonders geschätzte Fasnachtsfeuer war vielerorts erlöscht, wurde die «heydnische» Sitte doch verschiedentlich und zuletzt aus Gründen der Nachhaltigkeit («Verschwendung!») verboten.
Als der Liestaler Fotograf Theodor Strübin Anfang der Fünfzigerjahre zur Kamera griff, hatte Basel-Stadt praktisch sämtliche Aktivitäten aus der Landschaft absorbiert. Im oberen Baselbiet fand die Fastnacht nur noch auf dem Teller statt («Chüechli, Schänkeli»), und auch die Basler Vorortsgemeinden waren an den Festtagen wie ausgestorben: Cliquen nach städtischem Vorbild füllten das Vakuum erst in den Siebzigerjahren. Entsprechend mager war die Auswahl an Motiven. Pflichtbewusst lichtete der Primarlehrer Strübin die selbst gebastelte Schulfasnacht ab, trotz politisch unkorrektem Sujet («Indianer»).
Wie zu erwarten ist auch der Liestaler «Chienbäse» zu sehen, der sich aus einem um 1800 erstmals belegten Kinderumzug entwickelt hat. Turnvereine rüsteten die Fackeln in den 1920er-Jahren derart hoch, dass nur noch Erwachsene sie tragen konnten. Auf Strübins Schwarz-Weiss-Fotos zeigt sich der Anlass ohne die zeitweilig verbotenen «Füürwääge» allerdings wenig fotogen.
Auch beim «Chienbäse» trat die frühere, eigentliche Attraktion in den Hintergrund: das Fasnachtsfeuer. Bevor dessen Organisation zur Gemeindesache wurde, zogen Buben und junge Burschen durch die Baselbieter Dörfer und sammelten Wellen, die zu einem pyramidenförmigen «Wällemaa» aufgeschichtet wurden. In Aesch machten «Stägglibuebe» die Runde durch das Dorf, in Muttenz wurde Brennmaterial für den Wartenberg mit den Worten «Wälle, Wälle für die alte Fasnachtsschälle» eingefordert.
In Pratteln kündigten sich die «Hornbuebe» mit ihren Kuhhörnern an, auf denen sie im Takt bliesen und das zusammenrammassierte Holz bei der «Halde» aufschichteten: Strübin zeigt die stolzen Buben mit ihrer Beute, auf deren Spitze ein «Schneemann» als Verkörperung des Winters auf sein feuriges Ende wartet. Solche Strohmänner sind seit 1905 für das Baselbiet (Läufelfingen) belegt, in Sissach wurde 1933 erstmals ein «Böögg» verbrannt, der nach dem Zweiten Weltkrieg in «Chluuri» unbenannt wurde. Für den traditionsbewussten Strübin offenbar ein zu junger Brauch, um ihn fotografisch festzuhalten.
Dafür dokumentierte er mit dem Prattler «Butz» den «einzigen alten und ohne Unterbruch geübten grösseren Heischebrauch» im Baselbiet, wie der Volkskundler Eduard Strübin schreibt. Mit einem Leiterwagen zog und zieht eine Gruppe bunt Maskierter durchs Dorf und verlangt Wein, Eier und Geldgaben. Mit dabei der berüchtigte Doktor Eisenbart («kann machen, dass die Blinden gehn / und dass die Lahmen wieder sehn»), der aus seiner Bauchlade Wundermittel feilbietet. So unscheinbar sich der Anlass in der eventisierten Fasnachtslandschaft ausnimmt, vermittelt er doch einen guten Eindruck davon, was eine Dorffasnacht einst ausmachte.
Fotografisch am ergiebigsten für Strübin aber war ein weiterer Feuerbrauch, der vor allem im Birseck und im Leimental am «Funggesunntig» gepflegt wird: das «Schyblischloo» oder «Reedlischigge», wie es in Biel-Benken heisst. Dabei werden am Fasnachtsfeuer runde Holzscheibchen an einer Haselrute zum Glühen gebracht und dann mit Schwung – ähnlich wie beim Hornussen – über eine «Bangg» geschlagen, sodass sie bis zu hundert Meter weit durch die Luft fliegen – die richtige Technik vorausgesetzt.
Während das Scheibenschlagen nach dem Zweiten Weltkrieg auch aufgrund der regen Bautätigkeit mehrheitlich verschwand, blieben die Dörfer Biel und Benken dabei: «Der wohl älteste und urtümlichste Brauch, s Fasnachtfüür und s Reedlischigge mit dem abschliessenden Fackelzug, muss erhalten bleiben», schrieb das «Leitbild Biel-Benken 1973» vor. Gefeiert wird trotz Gemeindefusion weiterhin mit zwei Feuern. Zu den Zaungästen gehörte auch Theodor Strübin, der nicht nur die handfeste Herstellung der «Reedli» (sägen, schnitzen, bohren) dokumentierte, sondern vor allem auch deren schwerelosen Zauber.
Als Meteoritenregen gehen die schwirrenden Scheibchen auf den Rebberg nieder – die Feuerwehr darf bei dem Anlass nicht fehlen. Vom abschliessenden «Faggeleschwinge» stammen die eindrücklichsten Fotografien: Wie kleine Galaxien wirbeln die Feuer im Dunkel, wie Wunderzeichen in Weiss auf Schwarz. Näher ist der Lichtmaler Theodor Strübin der Abstraktion wohl nie gekommen.
Eduard Strübin: «Jahresbrauch im Zeitenlauf», Verlag des Kantons Basellandschaft, 1991. Mehr Fotografien von Theodor Strübin im Kulturgüterkatalog des Museumverbunds Baselland: www.kimweb.ch.