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Basel
In vielen Dörfern finden sich bedeutende Kirchenfenster – in Courfaivre gar solche von Weltklasse-Maler Fernand Léger. Die bz ist zwei Wochen lang im Jura unterwegs auf der Suche nach Orten, die typisch für Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur des Juras sind.
Die Jurassier sind stolz auf sie, die Internetseite von Jura Tourisme listet sie als Top-Sehenswürdigkeit auf. Die Rede ist von den «Vitraux», den modernen Glasfenstern in den Kirchen des Jura. In der Region Basel sind sie ausser bei einigen Kunst- und Kircheninteressierten eher unbekannt.
Zu Unrecht: Seit den frühen 1950er-Jahren sind zwischen La Neuveville, der Ajoie und dem Laufental mehrere Dutzend Kirchen mit kunstvoll gestalteten Glasgemälden dekoriert und so aufgewertet worden. Entstanden ist ein einzigartiges Freilichtmuseum mit zeitgenössischer Kunst. Man muss weder kunsthistorisch bewandert noch religiös sein, um von der Pracht der bunt leuchtenden Fenster infiziert zu werden.
Auf einer Kirchenfenster-Rundfahrt im Jura führt am Dorf Courfaivre kein Weg vorbei. In der künstlerisch anspruchslosen Kirche aus dem 18. Jahrhundert hat sich 1953/ 1954 ein Künstler von Weltrang verewigt: Fernand Léger (1881-1955). Im Rahmen der Renovation und Vergrösserung der Kirche gestaltete der Franzose in den beiden Seitenschiffen Glas-Medaillons, die auf zehn Stationen das Credo – von der Schöpfung bis zum ewigen Leben – versinnbildlichen.
In den Chorfenstern illustrierte der Atheist die Symbole der Eucharistie, unter anderem die Hochzeit von Kana. Légers Darstellung des Glaubensbekenntnisses ist sehr einfach und direkt; die 100 Quadratmeter umfassenden Glasarbeiten in der Kirche von Courfaivre haben in Légers Spätwerk eine herausragende Bedeutung. Und sie markieren den Beginn der Blüte der modernen Glasmalerei im Jura.
So nahe und doch so unbekannt, das ist der Jura für die meisten Menschen in der Region Basel. Die bz ist zwei Wochen lang im Jura unterwegs auf der Suche nach Orten, die typisch für Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur des Juras sind und auch deshalb einen Besuch lohnen. Die bz legt bei ihren Besuchen den Fokus auf den Kanton Jura, sieht es aber mit den Kantonsgrenzen bewusst nicht so eng.
Bereits erschienen: «Das freut die Deutschschweizer Gaumen» (2.10.), «Wanderung am Étang de la Gruère» (4.10.), «Wo die Luxusuhren herkommen» (6.10.).
Doch wie kam der Künstler von Weltruf in den Jura? Eine zentrale Rolle beim Engagement Légers, aber auch für die Erneuerung der sakralen Kunst im Jura spielte die Architektin Jeanne Bueche, die erste weibliche Absolventin der ETH Zürich. Die im Berner Jura geborene und später in Delémont wirkende Bueche baute und erneuerte ab den 50er-Jahren zahlreiche Kirchen – und sie fragte Léger, ob er nach den Glasfenstern für die neue Herz-Jesu-Kirche in Audincourt im französischen Jura auch in der Schweiz tätig sein wolle. Audincourt und Le Corbusiers ikonische Kapelle Notre-Dame-du-Haut von Ronchamp (1955) waren wichtige Katalysatoren für die Renaissance der Kirchenbaukunst im Jura.
Bueche gelang es in der Folge, neben Léger weitere Künstler von internationalem Format in den Jura zu locken. Einer von ihnen ist der Franzose Roger Bissière (1886-1964), der 1957 die Fenster der Kirche von Cornol und 1958 jene von Develier gestaltete. Seine abstrakten, mosaikartigen Glasgemälde bilden einen hübschen Gegensatz zu den gegenständlichen Darstellungen Légers. Bissières Fenster erzeugen alleine durch ihre Farbpalette eine magische Wirkung. Der ehemalige Direktor des Kunstmuseums Bern sprach nach einem Besuch im Jura beeindruckt von den «schönsten Europas».
Sich an einem einzigen Tag einen Überblick zu verschaffen, ist unmöglich: Alleine im Standardwerk «Moderne Kirchenfenster im Jura» sind 54 Kirchen aufgelistet. Die bz hat auf einer willkürlich zusammengestellten Tagesreise Kirchen in fünf Ortschaften besucht: Auf jeden Fall lohnenswert ist ein Besuch des Kantonshauptorts Delémont: Hier finden sich – auch per öV gut erreichbar – gleich drei Kirchen mit modernen «Vitraux», darunter die Kapelle im Centre Saint-François. Für Kirchenfenster-Kenner ist es wohl kein spezieller Tipp, für alle anderen hingegen das Must-See schlechthin: das von Weltklasse-Künstler Fernand Léger gestaltete zehnteilige Glaubensbekenntnis in der Kirche von Courfaivre, 7 Kilometer von Delémont entfernt.
Unweit von Courfaivre und Delémont sind in Develier abstrakte Kirchenfenster des Franzosen Roger Bissière zu bestaunen, ebenso in Cornol unweit von Porrentruy. Wärmstens empfohlen sei zudem ein Abstecher nach Soubey: Neben der Kirche (eine der schönsten im Kanton Jura) mit Glasfenstern von Coghuf ist das hübsche Dorf am Doubs mit seinen 130 Einwohnern und die Umgebung ebenfalls eine Attraktion. (haj)
Aber auch heimische Künstler schufen Ausserordentliches. Gleich zehn Kirchen verschönerte André Bréchet (1921-1993). Sein vielleicht bestes Werk gelang ihm 1970 für das neugebaute Centre Saint-François in seinem Heimatort Delémont. Scheint nachmittags die Sonne durch die 28 Quadratmeter grosse Glasfront an der Westseite, werden so polychrome Farbtupfer an die Kapellenwand projiziert. Im Gegensatz zu den umgestalteten Kirchen aus dem 18. und 19. Jahrhundert treten hier die Glasfenster in einen spannenden Dialog zur gleichzeitig entworfenen Architektur.
Erwähnenswert wären viele weitere Künstler, doch einer darf in der subjektiven Auswahl nicht fehlen: Der in Basel geborene und später im Jura wohnhafte Ernst Stocker alias Coghuf (1905-1976). Er gestaltete 1962 in Soubey farbenprächtige abstrakte Glasgemälde. Diese schaffen im kleinen, ursprünglich wirkenden Dorf am Doubs mit seiner denkmalgeschützten Kirche aus dem 17. Jahrhundert spannende Kontraste.