China
Der grösste Stau der Welt: Corona sorgt für Verzögerungen in einem riesigen Container-Hafen

Ein Covid-Ausbruch am Hafen von Yantian sorgt für Stillstand. Chinas Pandemie-Strategie stösst an ihre Grenzen.

Fabian Kretschmer aus Peking
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Yantian hat den drittgrössten Containerhafen der Welt - und jetzt den grössten Containerstau.

Yantian hat den drittgrössten Containerhafen der Welt - und jetzt den grössten Containerstau.

Bild: Getty Images

Nicht ohne Grund wurde das südchinesische Perlflussdelta noch bis vor kurzem als «Werkbank der Welt» bezeichnet. Und auch wenn die einstigen Textilfabriken längst elektronischen Hardwarefirmen gewichen sind, ist die umliegende Provinz Guangdong mit Warenlieferungen im Wert von über 700 Milliarden Dollar noch immer die mit Abstand exportstärkste innerhalb der gesamten Volksrepublik. Doch in Zeiten von Covid ist die Metropolregion auch so etwas wie die Achillesferse für globale Lieferketten.

Im Mai entdeckten die örtlichen Gesundheitsbehörden rund um den Yantian-Hafen in Shenzhen den ersten Fall der gefürchteten Delta-Variante, wenig später wurden 15 weitere Infizierte entdeckt. In den meisten Ländern der Welt wären solche Zahlen wohl nicht weiter besorgniserregend, doch die Volksrepublik China fährt trotz fortgeschrittener Impfkampagne nach wie vor eine strikte «Zero Covid»-Strategie – nicht zuletzt auch, weil mit den heimischen Vakzinen aufgrund durchwachsener Wirksamkeit nur schwer eine Herdenimmunität zu erreichen ist.

Entsprechend drastisch fielen die Massnahmen der Behörden am Hafen von Yantian aus: Sämtliche Arbeiter wurden in staatlich organisierte Quarantäneunterkünfte geschickt und über 230'000 Menschen im Einzugsgebiet des Hafens umgehend auf das Virus getestet. Fast eine Woche war der nach Singapur und Shanghai grösste Container-Hafen der Welt komplett stillgelegt, ehe der Betrieb Schritt für Schritt wieder aufgenommen wurde.

Jene kurze Unterbrechung reichte jedoch aus, um die bisher grösste Unterbrechung globaler Lieferketten zu erzeugen. Vincent Clerc, Manager der Reederei Maersk, sprach in einem Pressegespräch Mitte Juni bereits von schlimmeren Folgen als bei der Blockade des Suezkanals im März.

Eine Schlange mit 130 Container-Schiffen

Auf der Höhe der Corona-Massnahmen in Yantian mussten sämtliche Frachter bis zu 16 Tage warten, allein um am Hafen anlegen zu dürfen. Vor den Hafengewässern bildete sich zeitweise ein Stau von über 130 Container-Schiffen, die vor allem auf Ladungen an Elektronikwaren warteten – also ausgerechnet jene Produkte, die seit den globalen Lockdowns von Konsumenten verstärkt nachgefragt werden.

Noch einen Monat nach Einführung der ersten Auflagen lag der Betrieb erst bei rund 70 Prozent, seit Anfang Juli spricht Maersk von einer «Produktivität auf 85 Prozent des Normalniveaus».

Die weitreichenden Folgen lassen sich ganz unmittelbar an den massiv gestiegenen Frachtpreisen ablesen, die laut Jörg Wuttke, Präsident der europäischen Handelskammer in Peking, so hoch wie noch nie seien. Die weltweite Verschiffung eines handelsüblichen 40-Fuss-Container kostet derzeit knapp 8800 Dollar.

Preissteigerungen um 600 Prozent

Noch besorgniserregender als die absoluten Preise ist die Geschwindigkeit des Anstiegs, der derzeit bei über fünf Prozent pro Woche liegt. Im Jahresvergleich sind etwa die Frachtkosten für die Route Shanghai nach Rotterdam um nahezu 600 Prozent gestiegen.

Da globale Wertschöpfungsketten immer komplexer werden, hängen an einzelnen Unterbrechungen stets ein riesiger Rattenschwanz. In der Logistikbranche spricht man von sogenannten «ripple effects», die im Fall von Yantian noch über Monate hinweg zu spüren sein werden – möglicherweise noch bis zur Weihnachtssaison. Zunächst fehlte es an Speicherplätzen, um die aufgestauten Waren im Hafengelände zu lagern. Dies wiederum hat die Produktionspläne in den Fabriken beeinflusst.

Ähnliche Vorfälle können sich jederzeit wiederholen. Von der Strategieberatung «Trivium» heisst es, dass das Beispiel Yantian «die Vor- und Nachteile von Chinas aggressiver Eindämmung von Covid» aufzeigt. Denn einerseits hat die Staatsführung in Peking das Alltagsleben der Leute innerhalb der Landesgrenzen längst normalisiert.

Dennoch können selbst geringfügige Ausbrüche diesen fragilen Normalzustand wieder zunichte machen. Insofern würde ausgerechnet die radikale «Zero Covid»-Strategie «die vollständige wirtschaftliche Wiedereröffnung des Landes behindern».