Die Kulturagenda der kommenden Tage ist berstend voll. Die bz-Redaktion fragt sich, wie das drohende Dickicht zu bewältigen sei. Es hilft ein Seitenblick auf die Botanik.
In der Natur kennt man den Begriff der Angsttriebe. Man beobachtet diese auffällig langen und dünnen Auswüchse an Bäumen, die als Folge von erhöhtem Stress an den Oberseiten ihrer Äste vertikale Triebe ausbilden. Auch in der Kulturredaktion der bz macht man sich Sorgen. Grund dafür sind die kommenden Tage, an denen das regionale Kulturschaffen spriesst und gedeiht, wie ein zuvor sehr gestresster Wald.
In unseren Planungssitzungen hat sich seit geraumer Zeit der Begriff der «Wahnsinnswoche» etabliert, wenn von den Tagen ab dem 6. Mai die Rede war. Mit jedem eintreffenden E-Mail, jedem Presseversand, jedem Telefonat wurden diese noch voller. In der sehr nahen Zukunft, so steht nun fest, wird unsere Stadt von einem regelrechten Kultur-Overkill heimgesucht. Im Folgenden eine unvollständige Auflistung der anstehenden Attraktionen:
Das Filmmusik-Festival und die Architekturwoche stehen in den Startlöchern, ebenso das Tanzfest und die Philexpo. Die Stadtmusik feiert ein Jubiläum und Lied Basel geht über die Bühne. Der Kanton Baselland verkündet seine Kulturpreisträgerinnen, und auf nationaler Ebene – aber auch von regionaler Bedeutung – werden die Schweizer Musikpreise vergeben. Das Theater Basel wartet mit einer tanzenden Heidi, einem singenden Barbier und einem Ausblick auf die kommende Spielzeit auf.
Doch damit noch lange nicht genug: Während das Jazzfestival weiterhin aus allen Rohren feuert, holt das Atlantis an den wenigen freien Abenden auf eigene Faust Jazzgrössen nach Basel. Innerhalb ein und derselben Woche eröffnen zudem neue Ausstellungen im Vitra Design Museum, im Kunstmuseum, im Kunsthaus Baselland und im Haus der elektronischen Künste. Wer hier vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht, der kann sich freuen: Im Klingental startet – ebenfalls in besagter Wahnsinnswoche – eine Ausstellung über Basler Bäume.
Biologinnen und Biologen kennen zwei Erklärungsmodelle für die bei gestressten Bäumen auftretenden Angsttriebe. Das erste liegt nahe: Zuvor ausgefallene Fotosynthese- oder Transpirationsleistungen wollen kompensiert werden. Gleiches gilt zweifelsfrei für die Kulturbetriebe der Region: Nach den Pandemiejahren gibt es einiges nachzuholen. Das macht – trotz kaum bewältigbarem Arbeitsaufwand im Team – Mut, denn schlimmer als der wuchernde Dschungel ist allemal die verdorrte Einöde.
Dann gibt es bei den Angsttrieben aber noch ein alternatives Erklärungsmodell, wonach sich die bedrängten Bäume mit den neuen Trieben so weit nach dem Blätterdach strecken, um den benachbarten Bäumen das Licht abzutragen. Für die Kulturlandschaft hiesse dies, dass die kommende Flut an Events Ausdruck eines Verdrängungskampfes wäre.
PS: Die angesprochenen Auswüchse der wild wuchernden Kultur finden Sie bei uns, um bei der botanischen Metapher zu bleiben, im Blatt.