Beim Tanzprojekt «Zämmeheebe» treten Laien jeden Alters gemeinsam auf. Drei Kollektive aus unterschiedlichen Orten der Region Basel zeigten, was sie voneinander getrennt geprobt hatten.
Sie kriechen langsam unter dem Bühnenvorhang hervor. Ihre Körper auf den Bühnenboden gepresst, halten sich die zwölf Tanzenden an den blossen Füssen fest und sind nur so schnell wie die Performenden vor ihnen. Der Vorderste streckt seine Hand aus und erreicht einen auf dem Bühnenboden liegenden Schal mit letzter Kraft.
Dann bilden sie einen Kreis, blicken sich das erste Mal in die Augen, drücken sich aneinander, nur um sich dann wieder loszulassen – so weit, wie es das Gemeinschaftsgefühl zulassen scheint. Ein sich konstant bewegendes, transformierendes Kollektiv aus Menschen in ihrer ganzen Menschlichkeit verletzlich und mutig zugleich.
Ist ein Kollektiv nur so stark wie jedes seiner Individuen? Wie weit muss sich jedes Mitglied anpassen, nachgeben, sich Raum geben und einander festhalten? Was es heisst, Teil einer Gemeinschaft zu sein, lotet das Stück «Zämmeheebe», das am Samstag im Rahmen des Basler Tanzfestes im Theater Roxy in Birsfelden Premiere feierte, auf eindrückliche Weise aus. Das heterogene Tanzkollektiv aus Laien wagt sich unter der Leitung dreier Choreografinnen aus der Region an tänzerisches Neuland und bricht dabei mit Tabus um Körperklischees und Körperkunst.
Zu orientalischem Livegesang bewegen sich zu Beginn des Stücks zwölf schwarz gekleidete junge Tänzerinnen in einem ständigen Abtasten ihres Körperbildes und ihres Platzes im Teil des Ganzen über die Bühne. Der Oberkörper frei, bleiben ihre Schritte synchron aufeinander abgestimmt. «In meiner Gruppe hatten die meisten der Teilnehmerinnen bereits Tanzerfahrungen», erzählt die Choreografin Anita Maimouna Neuhaus, die die Liestaler Teilnehmenden coachte.
Die Probezeit hätten die drei Gruppen, die sich aufgrund einer Ausschreibung zum Tanzprojekt zusammenfanden, zwar grösstenteils getrennt voneinander absolviert – allerdings habe man sich unter anderem über Whatsapp gegenseitig Aufgaben gestellt oder sich ausgetauscht und angespornt. Im Programmheft sind Auszüge aus dem Chat abgebildet – in diesem Sinne darf das Projekt durchaus auch als eine kollektive Tanzerfahrung bezeichnet werden.
In solchen Formationen aus Teilnehmenden mit unterschiedlichen Hintergründen bestehe die Gefahr, dass einzelne aussen vor bleiben, räumt Marcus Rehberger vom Theater Roxy ein und betont sogleich:
«In diesem Stück kommen alle zur Geltung.»
Nach der zweiten Tanzgruppe aus Basel, die mit einer Choreografie von Rebecca Weingartner einen mitunter juvenilen Ringelreihen um Gemeinschaft präsentiert, beleuchtet ein einsamer Scheinwerferkegel die Tanzfläche. Darin tritt eine ältere Dame im dunkelpinkfarbenen Samt-Pyjama auf die Bühne. Zustimmendes Murmeln im Publikum. Mit ihrer soliden, grazilen Interpretation des urbanen Tracks leiht die 76-Jährige der durchmischten Laufener Gruppe aus Damen höheren Alters ihre Lebensfreude und ihr Selbstbewusstsein.
«Musik ist Leben, und Tanzen ist der Ausdruck für dieses Leben», betont sie nach der Show, als ihr von ihren Kolleginnen zu ihrem Solo gratuliert wird. Zuerst feiern die Frauen in laufstegartigen Bewegungen ihre Körper und zeigen sich mitunter auch in verführerischen Posen.
«Auch ältere Körper dürfen sich auf der Bühne körperbetont zeigen», betont Choreografin Johanna Heusser, die bewusst mit der gesellschaftlichen Erwartungshaltung, nur einem jugendlichen Schönheitsideal entsprechende Frauen auf der Bühne sehen zu wollen, aufräumt. «Ich musste zuerst ihr Vertrauen gewinnen», sagt Heusser, die sich bewusst für einen Up-Tempo-Song – die eigens fürs Stück produzierte Dekonstruktion des Hits «Magic Key» von Max Windisch – entschied.