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Ein Blick zurück in die Kunst der 1980er-Jahre: Die Galerie Stampa zeigt Holzschnitte des Ostschweizer Bildhauers Josef Felix Müller.
Diese Figuren blicken ernst. Sie sind aufgewühlt und gezeichnet von der eruptiven Kraft männlicher Körperlichkeit. Erigierte Glieder kreisen — allerdings nicht eindeutig im Zeichen von Fruchtbarkeit und Potenz.
In den vier grossformatigen Holzschnitten, die ab heute wieder in der Galerie Stampa zu sehen sind, begegnet uns der Künstler Josef Felix Müller — expressiv und nachdenklich. Als Müller im Körpermotiv gesellschaftliche Rollen untersuchte, gingen Aufbegehren und Ohnmacht Hand in Hand. «Nun kann ich wieder einmal sehen, wie ich vor dreissig Jahren drauf war», notiert er kürzlich in seinem online publizierten Tagebuch.
Wie war er, damals 31-jährig, drauf? «Ich spüre heute, wie gross meine Wut war, vielleicht auch mein Zweifeln an Fragen der Schöpfung und daran, wie kompliziert die Welt für die Menschen eingerichtet ist.»
Diagonal breitet sich die kopflos verstörende Wechselwirkung zwischen Kontrolle und Lust, Wissen und Fantasie über die Bildflächen aus. Im Widerstand des hölzernen Riemenbodens hat Müller einen rohen, ja unkontrollierten Strich herausgefordert. Und als die Geburt seiner Tochter im Bild Ausdruck suchte, entstand mehr als die Dokumentation eines biografisch einschneidenden Augenblicks. Denn so sehr sich Müllers Figuren einer geschürften Oberfläche verdanken, so sehr geben sie auch ihre Verletzlichkeit preis.
«Tasten durch den feinen Nebel der Sinnlichkeit» ist als Titel darum kein Widerspruch: Was damals provozierte, ist heute als versöhnlicher Appell an die Menschlichkeit lesbar. Die bearbeiteten Riemenparkettböden hat Müller dem Kunstmuseum St. Gallen geschenkt. Dort sind sie nun, zeitgleich zur Präsentation der Drucke in Basel, in der Gruppenausstellung «The Dark Side of the Moon» zu sehen.
Das Direkte des eigenen Erlebens, der Verzicht auf Vorzeichnungen oder Modelle prägte in den 1980er-Jahren die Arbeiten des Bildhauers Josef Felix Müller. Seine Holzplastiken sind oft mit jenen von Ernst Ludwig Kirchner und Hermann Scherer in Verbindung gebracht worden. Der 1955 in Eggersriet geborene und im Rheintal aufgewachsene Künstler steht jedoch nicht in einer direkten Nachfolge des Schweizer Expressionismus der ersten Jahrhunderthälfte. Vielmehr hat er Teil an jener Generation, die, jung, im Aufbruch, nach vorne preschend, den als zahnlos empfundenen Künsten die dringlichen Fragen des Menschseins entgegenhielt.
Inzwischen hat Josef Felix Müller die Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur hinter sich gelassen. Was an Körperbildern heute permanent zirkuliere, könne er in der Kunst nicht überbieten. Ausserdem sei — bei aller Ratlosigkeit angesichts der politischen und gesellschaftlichen Gegenwart — sein Blick heute weniger aufgeregt. Unvorhersehbares in der Natur wie Spiegelungen, der Blick in Baumkronen, das Flirren von Gegenlicht, hat das existenzielle Ringen um Schöpfungsfragen abgelöst.
Nicht nur in eigener Sache fand der Ostschweizer Künstler Anerkennung in der Schweizer Kunstlandschaft. Früh hat ihn seine Neugier dazu angehalten, sich mit dem Schaffen anderer Künstlerinnen und Künstler auseinanderzusetzen. Das Veröffentlichen von Kunst bietet ihm Möglichkeiten, Dinge genauer zu verstehen. In dieser Haltung geht er immer wieder über den mündlichen Austausch und die beiläufige Anerkennung hinaus und schafft mit dem Vexer Verlag einen Raum, der sein im Alleingang entstehendes Schaffen in einen Dialog treten lässt. Bücher, Editionen, Videos, überhaupt die Zusammenarbeit mit Autorinnen, Gestaltern und Kunstschaffenden, zeichnen Josef Felix Müller als engagierten Vermittler aus. Wie den Verleger Peter Blum, der den grossen Holzschnitten 1986 eine Edition widmete.
Josef Felix Müller «Tasten durch den feinen Nebel der Sinnlichkeit». Galerie Stampa, Spalenberg 2, Basel, bis 27. 8. www.stampa-galerie.ch
www.jfmueller.ch