Unesco-Weltkulturerbe
Ein Sammelsurium irdischer Herrlichkeit

Von Flamenco bis Falknerei: Eine sinnvolle Einrichtung wird verwässert. So bewirbt sich beispielsweise die französische Esskultur um die Aufnahme in das Unesco-Weltkulturerbe.

Stefan Brändle, Paris
Drucken

Quizfrage: Was ist ein Pütchipü’üi? Natürlich – das ist ein Vertreter des kolumbianischen Indiostammes Wayu, der über ein spezielles «normatives System» gebietet. Dieses wiederum wird diese Woche einer 24-köpfigen Kommission präsentiert, zwecks Aufnahme in das «World Heritage» der UNO-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) mit Sitz in Paris.

Die neuste Welterbe-Kür betrifft 51 Kandidaturen in der «immateriellen» Sparte. Darunter befinden sich – neben dem Pütchipü’üi – unter anderem die Meschrep-Volkskunst der Uiguren, das kroatische Gewürzbrot oder der spanische Flamenco-Tanz. Das Regierungskomitee der Unesco hat die Qual der Wahl, gehören doch zu den Kandidaten auch ein türkischer Ölkörperkampf, chinesische Dschunken, der Rindermarkt im belgischen Hautem-Saint-Liévain oder die Moxa-Therapie der alten chinesischen Medizin.

Über tausend Kulturgüter

Die meisten Kandidaturen haben gute Chancen, die 170 schon bestehenden «geistigen» Kulturgüter des Planeten zu ergänzen. Die seit acht Jahren bestehende Liste ergänzt die ältere Aufstellung von über 900 Naturschauplätzen und Kulturgütern wie etwa den Pyramiden von Giseh, der Akropolis von Athen oder dem Grand Canyon in den USA. Insgesamt zählt die Unesco heute über tausend Güter, darunter auch sieben aus der Schweiz.

Und regelmässig schafft die grösste Unterorganisation der UNO neue Kategorien. Jüngst etwa das «Kulturerbe unter Wasser» – auch Schiffswracks wollen nicht nur vor dem Zerfall, sondern vor dem Schwarzmarkthandel geschützt werden. Neueren Datums ist zudem die Sparte «Gedächtnis der Menschheit», in dem schriftliche Dokumente wie etwa die Gutenberg-Bibel oder seit 2009 das Nibelungenlied Unterschlupf finden. Die Liste der «immateriellen Güter» umfasst nämlich nur mündliche Überlieferungen, neben anderen Ausdrucksforen wie Kunst oder Handwerk.

Bei einem so reichhaltigen Angebot irdischer Herrlichkeiten kann es nicht verwundern, dass sich die Kandidaten langsam auf die Zehen treten. Bei der neusten Kür bewirbt sich zum Beispiel die französische Esskultur mit Köchen wie Alain Ducasse. Denn wie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bei der Lancierung der Kandidatur 2008 gesagt hatte: «Wir haben die beste Gastronomie der Welt – zumindest in unseren Augen.» Da dieser Nachsatz rasch vergessen war, sind die Italiener und Spanier bis heute aufgebracht. Und nicht nur, weil sie ihre Pasta- und Tapas-Kultur auch gerne durch die Unesco brevetieren lassen würden. Zusammen mit den Griechen und Marokkanern kandidieren sie diese Woche mit der «mediterranen Diät». Die wiederum ist nicht zu verwechseln mit der mexikanischen Mais-Küche, die ebenfalls für einen Platz im Kulturgut-Olymp antritt. «Absurde Inflation oder Zeichen des menschlichen Genies?», hinterfragte selbst die Pariser Presse die Häufung der Kulturgut- und Essgut-Kandidaturen.

Umstritten ist bei der Kommissionstagung in Nairobi auch die Mehrfach-Kandidatur Chinas, die mehr mit Nationalstolz als mit Heimatschutz zu tun hat. Einige chinesische Objekte sind nach Ansicht von Kulturexperten existenzgefährdet, die Unesco wird sie deshalb fast aufnehmen müssen. Ob sie dadurch besser geschützt werden, ist eine offene Frage.

Die UNO-Organisation führt zwar auch Listen gefährdeter Objekte. Viele Länder sträuben sich aber aus Prestigegründen, «ihr» Kulturgut so negativ erwähnt zu sehen – auch wenn dies meist mit Hilfsgeldern verbunden ist. Diesen Sommer setzte Ecuador nach intensivem Lobbying durch, dass die Galapagos-Inseln nicht wie von Biologen angeregt auf die Liste der gefährdeten Naturschauplätze gesetzt wurde. Der nationale Ruf ist gerettet – eventuell auf Kosten der Schildkröten und Iguane von Galapagos.

Der an sich sehr sinnvolle Kultur- und Naturgüterschutz, der dem «World Heritage» zugrunde liegt, ertrinkt immer mehr in einer Flut neuer Auszeichnungen. Masse ersetzt Klasse. Nach den Naturwundern, Kulturdenkmälern und Geistesgütern propagiert die Unesco vielleicht bald eine Liste erhaltenswerter Menschen.