Simon Stones Adaption von «Drei Schwestern»im Theater Basel ist unterhaltsam und dramatisch wie eine TV-Serie.
Ist das noch Tschechow? Jungstar-Regisseur Simon Stone hat, wie es so seine Spezialität ist, die «Drei Schwestern» überschrieben, auf heute umgeschrieben. Zünftig. Lässig. Ein Idiotikon des 21. Jahrhunderts liesse sich locker allein aus dem Sprachschatz dieses Abends schöpfen. Apps, Apple und Android; Yoga, Pilates und Crossfit. Donald Trump, Fidel Castro und die Flüchtlingskrise. Diese drei Schwestern und ihre Freunde reden unsere Sprache, unseren Banalitätensprech – aber etwa zehnfach potenziert. Sie haben unsere Probleme – aber etwa zehnfach potenziert. Sie haben Gefühle für vier Jahre – in zweieinhalb Stunden. Entsprechend kurzweilig war die Premiere am Samstagabend im Schauspielhaus Basel.
Dieses beschleunigte Tschechow-Kondensat hat einen unentziehbaren Zug, eine vorwärtspreschende Energie. Auch dank der Schauspielerinnen und Schauspieler, die hier ihre bisher grösste Ensemble-Glanzleistung dieser Theatersaison vollbringen. Sie lassen sich ganz aufeinander und den naturalistischen, emotionalen Text ein. So wirkt hier nie peinlich, was mit zu wenig Hingabe oder zu viel Pathos leicht peinlich wirken könnte. Und wir sehen dieser Gruppe nicht mehr ganz junger Leute fasziniert beim verdichteten Leben im Glashaus zu. Wie sie reden, essen, scheissen, vögeln. Wie sie zusammenkommen und sich trennen. Wie sie hoffen und wie sie scheitern.
Und wie wir diesen Menschen beim Leben zuschauen können! Detailreicher noch als der Fotojournalist Jeff in Hitchocks «Fenster zum Hof». Denn ihr zweieinhalbstöckiges Ferienhaus aus wenig Holz und viel Glas (Bühne: Lizzie Clachan) dreht sich fortlaufend um die eigene Achse. So sehen wir das Haus, seine Bewohner aus allen Winkeln, sehen alles gleichzeitig: wie sich einer in der Küche zum Quöllfrisch im Sandwichmaker einen Käsetoast macht, während zwei andere sich im Schlafzimmer übereinander hermachen. Bewegungen, ähnlich einem Kameraschwenk, stimmungsverstärkende Musik von Britney Spears bis David Bowie, dazu schnelle Beziehungskisten- und Sinnkrisen-Dialoge in Innenräumen: ein Theaterabend wie eine Fernsehserie.
Es läuft «Friends». Eine Clique weltgewandter Städter mit Macken trifft sich regelmässig. Hier im Ferienhaus, jeweils zu Geburtstagen und Weihnachten. Irina (Liliane Amuat) sucht nach einem erfüllenden Beruf; etwas mit Flüchtlingen fände sie sinnvoll. Mascha (Franziska Hackl) ist ihres Ehemannes überdrüssig und stürzt sich in eine Affäre mit dem verheirateten Nachbarn Alexander (Elias Eilinghoff). Olga ist etwas spröd. Viktor (Simon Zagermann) unheimlich. Herbert (Florian von Manteuffel) sympathisch und schwul. Natascha (Cathrin Störmer) vulgär und egoistisch. Auf sie steht Andrej (Nicola Mastroberardino), der sich das Ausmass seiner Drogensucht nicht eingestehen kann. Und Onkel Roman (Roland Koch) säuft und kauft Wohlstandsverwahrlosungsgeschenke – gut gelaunt packt er das Ungetüm von einer Prosciutto-Schneidmaschine aus.
Das Haus dreht, Zeit vergeht. Wenig wird besser, vieles schlechter. Tschechows Figuren erfüllt eine Sehnsucht nach dem, was sie tun und sein wollen («Nach Moskau, nach Moskau!). Sie sind naiv und unerfüllt. Stones Figuren haben in frühster Jugend schon fast alles ausprobiert, vor allem sexuell. Sie sind abgeklärt und unerfüllt.
Mit Subtilität, Tragikomik und wenig Handlung arbeitet Tschechow. Wichtig sind die Zwischentöne. Simon Stone tut alles, um Langeweile todsicher zu vermeiden. Zum Ende mengt er noch schnell Olgas Outing als Lesbe, ein Paar mit Fruchtbarkeitsproblemen und einen Selbstmord bei. Des Dramatischen etwas gar viel. In diesem Sinne ist er fast ein Anti-Tschechow, mit Sicherheit ein Anti-Marthaler. Auch das zeichnet seinen Stil nun mal aus.
Ist das noch Tschechow? Es ist die biederste aller Theaterfragen. Kunst darf alles. Hauptsache, es ist gut, Hauptsache, es gelingt. Und diese Inszenierung ist gut.
Drei Schwestern. Schauspielhaus Basel. Nächste Vorstellungen: 14., 15., 20, 23. Dezember, 19.30 Uhr.