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Die Karikaturistin Agnes Avagyan stammt aus Armenien und lebt seit 13 Jahren in Kriens bei Luzern. Die 39-Jährige hat eine bewegte Vergangenheit – und ein besonderes Talent.
Meine Eltern haben schon früh gemerkt, dass ich als Kind ästhetische Sonnenuntergänge gezeichnet habe und beidhändig zeichnen konnte. Aber es waren schwierige Zeiten in Jerewan, und mein Talent ging während der Schulzeit wieder vergessen. In der Schule galt damals in Armenien übrigens das Linkshänder-Verbot, da gabs vom Lehrer sofort mit dem Lineal Schläge auf die Hände. Meine Eltern wollten eine stabile Zukunft für ihre Tochter, wollten, dass ich Englisch lerne.
Mit 13 Jahren durfte ich eine Kunstausbildung antreten, und in dieser Zeit kam die Erinnerung an mein Talent wieder zum Vorschein. Entdeckt wurde es, als ich für eine Zeitung Karikaturen machen durfte, und das Medieninteresse weitete sich daraufhin bis nach Moskau aus.
Wir wohnten im Stadtzentrum im sechsten Stock eines Hauses und mussten täglich Kübel mit Wasser hochschleppen. Es gab oft keine Elektrizität, keine Heizung, und die Winter in Armenien können bis zu minus 20 Grad erreichen. 1988 war das Land von einem schweren Erdbeben heimgesucht worden, und 1991 fiel meine Heimat nach dem Zerfall der Sowjetunion in eine schwere wirtschaftliche Depression. Es gab kein Geld, und wenn doch etwas Geld da war, gab es dann in den Läden nichts zu kaufen.
Diese Jahre waren hart, bitter und voller Leid. Aber ich habe als Kind auch ein romantisches Bild aus dieser dunklen Zeit mitgenommen. Die Schulen waren teilweise geschlossen, wir hatten viel Freiheit. Die Eltern zwangen uns zwar, die Bibliothek zu besuchen, aber ich hatte auch sehr viel Zeit zum Zeichnen.
An der Kunstschule habe ich mit 13 Jahren mein erstes Geld verdient. In einem Wettbewerb wurden 1994 in Jerewan meine Zeichnungen für ein Kinderbuch ausgewählt. Mit diesen Zeichnungen habe ich dann auch noch einen Preis in Frankreich gewonnen. Ich habe dafür 25 Dollar bekommen und mir eine moderne Winterjacke gekauft. Ich erinnere mich genau an die Jacke, ich könnte sie sofort zeichnen.
1996 durfte ich für die Unicef ein Buch illustrieren. Damit habe ich 1700 Dollar verdient. Meine Eltern verlangten lediglich, dass ich das Geld für etwas Sinnvolles verwende. Ich habe für rund 1000 Dollar eine Videokamera gekauft. Mit meinem Bruder Vahan bin ich dann durch Jerewan gelaufen und habe gefilmt, gefilmt und gefilmt. Im Weiteren habe ich mir noch teures Zeichnungsmaterial gekauft.
2001 durfte ich als 21-Jährige für die Academy of Fine Arts im Rahmen eines Volontärprogramms mit zehn weiteren armenischen Jugendlichen nach Rostock reisen. Wir besuchten in diesen drei Wochen auch Berlin und Amsterdam. Mein heutiger Ehemann Dave war als Schweizer Volontär dabei. Er hat sich für die Kultur meiner Heimat interessiert und war von meinen Zeichnungen beeindruckt. Nach meiner Rückkehr nach Armenien blieben wir vier Jahre lang in losem Kontakt.
Ich erhielt in dieser Zeit von Dave einige Bildaufträge. Aber es war schwierig, diese Zeichnungen per E-Mail zu senden. Also bin ich hierhergekommen. 2006 haben wir geheiratet. Ich erinnere mich gut, wie ich an der Chilbi von Meggen und Adligenswil zum ersten Mal als Live-Zeichnerin aufgetreten bin.
Ich reise jedes Jahr nach Armenien. Unsere Tochter Michelle Arax, die bald 7 Jahre alt wird, ist auch dabei. Mein Bruder lebt in New York. Doch mein Vater Karlen und meine Mutter Anahit sind in Jerewan. Meine Mutter war inzwischen mehrmals in der Schweiz zu Besuch.
Ich verfolge täglich in den Nachrichten, was in Armenien passiert. Klar, vermisse ich manchmal den armenischen Humor, den orientalischen Kolorit meiner Heimat. Manchmal auch den armenischen Zuckerkuchen und das Lawasch-Brot.
Jeder Anlass, ob Hochzeit, Schule oder Geschäftsparty, ist anders, und ich nehme immer besondere Eindrücke mit. Das Krasseste war wahrscheinlich vor sieben Jahren ein Auftrag von Samsung. Eigentlich war es ein Auftrag für mehrere Karikaturisten, aber ich
habe schliesslich während neun Wochen jeweils drei Tage hintereinander zehn Stunden lang alleine gezeichnet. Auf dem Flughafen, im Bahnhof, im Shopping Center. Ich war zu dieser Zeit hochschwanger und habe wie eine Maschine gearbeitet.
Mir ist es wichtig, dass die Leute Spass haben, wenn ich sie zeichne. Ich komme mit den Personen gerne ins Gespräch, während ich sie zeichne. Und ich fokussiere sicher nicht auf negative Merkmale im Gesicht.
Ich konzentriere mich auf Linien. Bei Ihnen wären das die Brille oder die Barthaare. Ich versuche dabei auch den Charakter der Person zu spüren.
Vielleicht die sieben Schweizer Bundesräte. Oder Roger Federer mit seiner ganzen Familie.
Mehr über die Kunst von Agnes Avagyan: live-karikaturen.ch