Kolumne
«Jung & Alt»: Komplett verheiratet sein kann anspruchsvoll werden

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 26. Diese Woche sinniert Hasler über die Schwierigkeiten, die das gemeinsame Älterwerden in der heutigen Zeit mit sich bringt.

Ludwig Hasler
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Der Philosoph Ludwig Hasler , 76, ist ein Babyboomer und findet, Senioren sollten nicht nur Passivmitglieder der Gesellschaft sein. Er schrieb das Buch «Für ein Alter, das noch was vorhat».

Der Philosoph Ludwig Hasler , 76, ist ein Babyboomer und findet, Senioren sollten nicht nur Passivmitglieder der Gesellschaft sein. Er schrieb das Buch «Für ein Alter, das noch was vorhat».

CH Media

Liebe Samantha

Jetzt kommst du aber zur Sache. «Wer länger als 20 Minuten über Wein sprechen kann, hat einfach keinen Sex mehr.» Ich konnte nie länger als zwei Minuten über Wein reden, kann also nicht mitreden.

Dafür hier: «Sie heissen Monika und Christian, sind länger verheiratet als nicht und haben sich auch sonst nichts mehr zu sagen.» Ja, was sollte sich ein Paar nach 30 oder 50 Jahren unaufhörlich zu sagen haben? Wie das Wetter morgen wird? Wie das Hüftgelenk sich heute anfühlt? Wo sie am Sonntag hinwollen?

Bloss, jetzt geht es nirgendwohin. Corona wird zum Härtetest älterer Paare. Ich kenne welche, die wirken verliebt wie am ersten Tag. Spezies rara. Und manche, die sich freundschaftlich das Leben erleichtern. In Hotels sehe ich die verzweifelt Tapferen beim Morgenessen, es gibt nichts zu erzählen, zu lachen schon gar nicht, sie schweigen in sich hinein, sehen aneinander vorbei. Harte Kost.

Ich bin selber verheiratet. Oft solo unterwegs. Wie meine Frau, übrigens. Wir merkten früh: Treten wir stets als Paar auf, haben wir weniger vom Leben, werden seltener angesprochen, können nicht einmal flunkern, wir sind, was wir sind, genauer: was wir waren. Also machen wir nie komplett auf verheiratet, es gibt auch mehr zu erzählen.

Um 1900, als die Leute im Durchschnitt 46 wurden, war die Ehe keine Hexerei. Bei 30 Rentnerjahren wird sie anspruchsvoll. Zumal im Alter immer weniger passiert, egal, wie aktiv wir drauf sind: Immer häufiger wiederholt sich, was wir erleben. Nun ja, kennen wir, kaum der Rede wert. Wie anders die jungen Jahre, wo alles neu ist, voller Erwartung, Angst und Hoffnung, wo jeder Abend das Leben umstürzen kann.

So ein Sommer mit 16 dehnt sich zur halben Ewigkeit, ein Jahr mit 76 kann fast eindrucksfrei verstreichen. Ein Zeitforscher klärte mich mal auf: Ich könne glatt 90 werden – und hätte doch mit 20 meine Lebensmitte überschritten, huch! Wir werden also stets älter, doch in die Länge gerät nur die Phase, die – mangels Neuigkeiten – im Hui vorbeirauscht. Wie reagieren? Neue Pubertät, neues Glück, neue Ehe? Oder die Zeit heiter dahinfliessen lassen, erleichtert, nicht mehr zu allem etwas sagen zu müssen?

Für dich ferne Zukunft. Wie packst du sie an? Laut Umfragen (aktuell: Berner Generationenhaus) seid ihr Jungen skeptisch gegenüber monogamen Ambitionen, offen für sogenannt polyamore Varianten. In der Praxis scheinen die Partnervorlieben erstaunlich stabil: Aschenputtel schnappt sich Prinz. Sie jung und schön, er reich und arriviert. So las ich es grad in «Psychological Science», Forscher aus 45 Ländern bilanzieren geltende Partnervorlieben.

Unverschämte Frage: Prinz in Sicht, Samantha?

Ludwig