Designer setzen auf starke Statements in den Primärfarben. Mäntel sind nicht nur voluminös, sondern auch tiefrot oder knallblau, Pullis dick und gelb.
Stehen Sie auf Rot, Blau oder Gelb? Das könnte etwas über Ihren Charakter verraten. Der Berner Künstler Johannes Itten (1888–1967) assoziierte in den Zwanzigerjahren in seiner Farbentyplehre Rot mit Materialismus, Blau mit Spiritualität und Gelb mit Intellekt.
Doch das muss man nicht unbedingt wissen, um sich an einem der neuen Modetrends zu erfreuen. Zahlreiche Designer setzen diesen Herbst nämlich auf die Primärfarben und kombinieren dabei kaltes Blau mit heissem Rot oder schrillem Gelb. «Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau?» (1966) – so lautet der Titel eines Gemäldes des abstrakten Expressionisten Barnett Newman (1905–1970). Grosse monochrome Flächen und Streifen bestimmen das Bild, von dem es vier Variationen gibt und das zum Teil auf heftige Ablehnung gestossen ist. Die Werke wurden gar Opfer von Vandalenakten. Warum bloss? Die Einfachheit der Komposition erschien manchem als dilettantisch.
Die Modemacher dürften mit dem Einsatz der Grundfarben zum Glück auf weniger Widerstand stossen. Mut, ganz auf Rot, Gelb oder Blau zu setzen, braucht es aber schon. Schliesslich trägt man im Herbst klassischerweise gedeckte Töne. Doch das ändert sich gerade schlagartig.
Die Kundschaft aus Ländern, die keine Jahreszeiten kennen, wird immer grösser.
Die international gefragte niederländische Trendforscherin Li Edelkoort ist ausserdem überzeugt, dass der Klimawandel sich in der Mode zunehmend widerspiegeln wird. Das klassische Repertoire der kalten Saison, bestehend aus dicken Stoffen und dezenten Farben, weicht laut Edelkoort dem Wunsch nach leuchtenden Farben und leichteren Stoffen. Gleichzeitig könne neu auch im Sommer Samt getragen werden. Oder eben im Herbst schreiendes Rot, Gelb und Blau. Dieser Trend machte sich an der diesjährigen Mailänder Fashion Week, wo jeweils bereits im Februar die Herbstkollektionen präsentiert werden, bei diversen Labels bemerkbar. So etwa bei Marni, wo Models in knallblauen Lackmänteln den Ton angaben.
Auch auf der New Yorker Fashion Week feierten die Primärfarben einen grossen Auftritt. Marc Jacobs schlägt für den Herbst voluminöse Silhouetten im Stil der Achtzigerjahre vor und zitiert dabei offensichtlich den Designer Claude Montana. Die Firma des französischen Modemachers ging 1997 Bankrott. Montanas Glanzzeiten waren die Achtzigerjahre, in denen er überdimensionierte Schulterpolster und Unifarben auf den Laufsteg brachte. Die Models bei Marc Jacobs scheinen in ihren farbintensiven Mänteln mit dazu assortierten Schals beinahe zu versinken. Ganz in Rot oder Gelb eingehüllt, dürfte dieser Look wie eine Farbtherapie auf die Trägerin wirken.
Michael Kors hingegen setzt auf Kariertes in den Grundfarben und kombiniert dabei für Männer rote Hose mit gelbem Pullover und gelbem Schal. Für Frauen schlägt Kors wild gemixte Prints vor – rote Blümchen werden mit ebenfalls rotem Tartanmuster mutig kombiniert.
Ein Pionier in Sachen Primärfarben auf dem Laufsteg war Yves Saint Laurent (1936–2008). Unvergessen bleibt sein Mondrian-Kleid, das der Modedesigner in der Herbstkollektion von 1965 zeigte. Saint Laurent hatte sich von der Kunst des niederländischen Malers Piet Mondrian (1872–1944) inspirieren lassen. Sein schlichtes Etuikleid mit einem Raster für rote, gelbe und blaue Felder ging in die Modegeschichte ein. So geordnet kommen die aktuellen Entwürfe der Designer nicht daher. Eher als die abstrakte Malerei scheint die Pop Art für viele Kreationen Pate gestanden zu haben. Bei der Moschino-Schau des Amerikaners Jeremy Scott sahen die Models – etwa im blauen Kleid mit blauem Pillbox-Hut oder farbiger Perücke– wie lebendig gewordene Comicfiguren aus.
Wer keine so klaren Farbstatements mag, sei getröstet: Auch die Mischfarben Orange, Grün und Violett sind en vogue.