In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 76, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 26. Diese Woche erklärt Hasler, wie früher die Partnersuche funktionierte.
Liebe Samantha
Dass der Greis einmal ein Baby und ein Kind war, daran denke auch ich gern. Ob das allerdings derselbe Mensch ist, da bin ich oft gar nicht sicher. Bei manchen Alten kann ich mir kaum vorstellen, wie sie selber Kinder hatten – so rigoros murksten sie alles Kindliche ab. Na ja, vielleicht siehst du das Kind in mir auch eher selten.
Nun aber zum Thema der Saison: Dating. Haben wir abgemacht, weil ja wieder mal Mai ist, du hast recht. Du fragst: Wie war das bei mir, als es noch aktuell war? Also: Ich wuchs analog auf, 100 %, überdies auf dem Land. Frühe erotische Erkundungen waren vor allem: mühsam. Die Auswahl minim, die Annäherung dauerte. Die Treffpunkte: Chilbi im Dorf, Tanz am Vereinsabend. Je verschämter der Körper, desto beflügelter die Sehnsüchte.
Real steckte ich «meinem» Mädchen dann einen Zettel in die Manteltasche. Sie wusste wohl nie, von wem er kam. Gut, es gab zwei, drei Mädchen im Dorf, die waren libidinös drauf, das merkte sogar ich, die wollten aber ausgerechnet mir zeigen, wie «anständig» sie seien. Denn eigentlich sollte es ja gleich beim ersten Anlauf ernst gelten, fürs Leben. So wurde ich zum erotischen Spätling.
Hätte digitales Dating mich früher in Schwung gebracht? Vermutlich. Tinder, Parship etc. kenne ich mehr theoretisch, ihr Vorteil leuchtet auch Laien ein: in Sachen Auswahl und Effizienz klar ein Quantensprung. Schlicht eine Frage der Datenmenge. 26 Millionen mal, lese ich, treffen sich täglich allein auf Tinder zwei Menschen – da müsste auch für mich einer passen.
Und wie es zur Sache geht: Diner, Netflix-Abend, Sex, Vorlieben? Praktischer ging nie. Auf eDarling läuft es aufwendiger, dafür umso treffsicherer. Man stellt mir 283 Fragen, bastelt daraus mein Profil, lässt Algorithmen die Frau herausfischen, die tipptopp zu mir passt. Die Geliebte on demand, perfekt. Kritisch kann man fragen, ob das nicht eher Fahndung sei als Flirt. Ja, ja – Hauptsache, mit Erfolg: massenhaft passgenaue Paarungen.
Zu spät für mich. Das Leben verpasste ich trotzdem nicht. Analog stolperte es über Zufall, Spannung, Drama. Und kostete Zeit. Wie der Flirt in der Bar. Mühsam, meist erfolglos. Doch irgendwann, mit etwas Glück und Geschick, passierte der Wahnsinn, auf den ersten Blick nicht mein Wunschzettel. Gegen Mitternacht jedoch …
War rar – und umwerfend. Das Geheimnis: entdecken statt suchen. Ich fand, wovon ich noch gar nicht wusste, dass ich es suchte. Die Unerwartete. Gibt es nicht auf Bestellung. Glück ist, lernte ich bei Arthur Schnitzler, «was meine Seele durchrüttelt». Nicht bedient.
Ein Anfall von Altersweisheit? Sie entdeckt das Glück eben da, wo ich früher nur das Mühsame sah. Oder passiert dir das auf Anhieb?
Ludwig