Kolumne
«Glamour, mon amour»: Der Gipfel der Blätterteig-Backkunst

Unsere Kolumnistin Simone Meier erklärt diese Woche, warum Baden früher die Partystadt der Zürcherinnen und Zürcher war.

Simone Meier
Simone Meier
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Spanischbrödli sind eine alte Badener Spezialität.

Spanischbrödli sind eine alte Badener Spezialität.

Sandra Ardizzone

Neulich verschlug es mein Liebesleben und mich ins Badener Bäderquartier und seither sind wir ganz benommen. Wir hatten noch nie so viel mondäne, elegante, stilvoll renovierte Hotelarchitektur an einem Ort gesehen. Wir aalten uns in der Therme und blickten auf die Limmat und die Weinberge.

Wir dinierten in der «Blume» mit ihrem filigranen Atrium und den Wellensittichen und Goldfischen. Wir drehten bei Dunkelheit ein Dutzend Runden und konnten uns von aussen nicht sattsehen am «Limmathof» und am «Schwanen» mit ihren beleuchteten Prachtsälen. Und fanden es einfach nur wunderbar, dass es beidseits des Flusses warme Becken für die einheimische Jugend gibt, die ihren Ausgang im Winter mit einem gemütlichen Badespass beginnt.

Und natürlich lasen wir uns auch in die Geschichte des Bäderquartiers ein, die Badener können sie sicher alle schon nicht mehr hören, es war ja so, dass Baden schon vor Jahrhunderten und für sehr lange Zeit nicht nur ein Ort der Heilquellen, sondern auch des schamlosen Vergnügens war. Reiche Zürcherinnen, die sich mit der spröden zwinglianischen Verzichtskultur nicht abfinden wollten, liessen es sich in ihre Eheverträge schreiben, dass sie alle paar Monate eine «Badenfahrt» machen und sich dort in ihren schönsten Kleidern und geschmückt zeigen durften. Man muss sich das einmal vorstellen: Baden als Partystadt der Zürcherinnen und Zürcher! Feste! Körperkultur! Völlerei!

Letztere begann schon beim Frühstück, fünf bis sechs sogenannte ­Spanischbrödli verzehrte ein Kurgast im Schnitt zum Frühstück, und das, obwohl die Kurärzte dringend davon abrieten, es war zu fett, ein reines Blätterteigquadrat, fingerdick aufs Blech gelegt, mit Ei bestrichen und zu einem buttrigen Berg aufgegangen.

Die Badener Konditoren hätten das feinste Weissmehl gemahlen, hiess es, das Spanischbrödli war das Luxusgebäck des 18. und 19. Jahrhunderts, Hunderttausende wurden vor Ort gegessen, Abertausende wurden nach Zürich exportiert, die Mutter von Betsy und Conrad Ferdinand Meyer schickte ihren Kindern aus der Kur einmal 60 Stück zum Probieren. Dienstboten mussten regelmässig die vier- bis fünfstündige Wanderung von Zürich nach Baden und zurück auf sich nehmen, um ihre Herrschaften mit dem Suchtgebäck zu versorgen, doch endlich wurde die erste Bahnlinie der Schweiz gegründet und schnell erhielt die Linie Zürich–Baden den Spitznamen Spanisch-Brötli-Bahn. Das Ticket für eine Retourfahrt kostete damals genau so viel der Tageslohn eines Dienstboten, die Zürcher waren bereit, jeden Preis für das Stillen ihres Spleens zu zahlen.

Erfunden hat Baden das Spanischbrödli natürlich nicht, das haben die Mailänder, die einst unter spanischer Herrschaft standen. Um 1900 kam dann das Croissant – exzentrisch, französisch, eine raffiniert gewickelte Mondsichel, der schrillste, neuste Schrei, die Haute Couture der Teigkunst, und übertrumpfte das spanisch-italienischen Badener Viereck. Schade eigentlich.