Kolumne
Grossmutters heisse Eisen

Unsere Kolumnistin Simone Meier schreibt diese Woche über eine bittersüsse Erinnerung an eine Leckerei aus ihrer Kindheit.

Simone Meier
Simone Meier
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Im Schrank der Grossmutter unserer Autorin stand ein Turm aus zusammenklappbaren Elektrogeräten, etwa Waffeleisen.

Im Schrank der Grossmutter unserer Autorin stand ein Turm aus zusammenklappbaren Elektrogeräten, etwa Waffeleisen.

Na? Stauen sich bei Ihnen allmählich die noch unverzehrten Osterhasen? Wird Ihnen klar, dass viel gelegentlich zu viel sein kann? Recken sich im Vorratsschrank schokoladige Ohrenpaare aus der übersichtlichen Ordnung von Dosen, Reis- und Pasta-Packungen? Und was werden Sie damit tun?

Die einzige Person, der ich je begegnet bin, deren Osterhasen einer anderen Bestimmung als dem Direktverzehr zugeführt wurden, war meine Grossmutter. Es war an einem Sommersonntag, ich war vielleicht fünfzehn, meine Grossmutter öffnete eine ihrer Guetsli-Büchsen und drin stapelten sich kleine braune Häufchen. Es war nicht besonders ansehnlich. Doch es schmeckte wie frisch aus dem Paradies importiert. Es war Maisknusper, ummantelt von einer zart schmelzenden Canache aus Milchschokolade. Oder anders: geschmolzener Osterhase mit Cornflakes.

Ich hatte zwei Fragen. Erstens: Wieso hatte ein Osterhase bei meiner Grossmutter mehrere Monate überlebt? Zweitens: Wieso hatte ich so alt werden müssen, bis ich diese ungeheure Köstlichkeit probieren durfte? Als Antwort erhielt ich auf beide Fragen ein Schulterzucken. Es war halt Resteverwertung.

Kochen war nichts, womit sich meine Grossmutter übermässig lange aufhielt. Sie war da ganz Pragmatikerin. Sie kam aus einfachsten Verhältnissen, hatte sich als Kind die Zähne mit Asche geputzt und als junge Frau in der Fabrik gearbeitet und war der Meinung, dass man sich das Leben unter allen Umständen erleichtern müsse. Am sichtbarsten wurde diese Philosophie in ihrer Küche.

Es gab in ihrem Schrank einen Turm von zusammenklappbaren Elektrogeräten. Eines war ein Waffeleisen für herzförmige Waffeln, wie man sie aus Belgien kennt. Dass diese nicht steinhart, sondern sogenannt weich und fluffig sein sollten, habe ich erst viel später gelernt. Eines war ein Waffeleisen für hauchdünne, knusprige Waadtländer Bricelets mit schönen Mustern. Ein drittes Eisen gehörte dem Handy-Toast. Dabei handelte es sich nicht um getoastete Handys, sondern um mit Käsescheiben und Schinken gefüllten Toast, der im Eisen erhitzt wurde.

Das Prinzip des Handy-Toasts gab es auch noch in einer sonntäglichen Fleischvariante, sie wurde in einer richtigen Pfanne gebraten, kam vom Metzger und nannte sich Cordon bleu. Als kerngesunde Alternative zu alledem gab’s ab und zu ein Spinatwähe mit besonders vielen Speckwürfeli.

Daneben hatte meine Grossmutter viel Zeit. Wir spielten tagelang Monopoly, polierten irgendwas Glitzriges, diskutierten alle royalen Gerüchte, besuchten Grossvaters Grab und spielten Szenen aus einer alten Dorfsage nach, die selbstverständlich ein Schlossfräulein beinhaltete. Ferien bei der Grossmutter waren köstliche kleine Inseln, auf denen wir winzigste Reste von Alltag zu unseren eigenen Märchen verarbeiteten. Und deshalb war an jenem Sommersonntag die Empörung, dass sie mir die köstlichste Resteverwertung von allen so lange vorenthalten hatte, umso grösser.