In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unsere Autorin Samantha Zaugg alternierend mit Ludwig Hasler, Philosoph und Publizist, 76. Diese Woche erklärt sie, weshalb unsere Gesellschaft keine Meritokratie ist.
Lieber Ludwig
Hab ich’s mir gedacht mit dem Backen. Ich muss zwar zugeben, ich bin auch keine grosse Bäckerin. Backen macht Freude, sagt vielleicht Dr. Oetker. Backen macht hässig, sage ich. Damit bin ich wohl eher generationenuntypisch. Mein Instafeed ist jedenfalls voller Bananenbrot und Sauerteig.
Aber nun zum eigentlichen Thema. Du glaubst, Frauen hätten mehr Fähigkeiten, die heute wichtig sind, und seien mittlerweile oft besser ausgebildet. Kann ich alles bestätigen. Woher kommt es also, dass nicht sämtliche Unternehmen von Frauen geführt werden? Dass nur noch Frauen in den Verwaltungsräten sitzen? Dass es im Bundesrat überhaupt noch Männer gibt?
Du stellst die Vermutung auf, wir seien zu schlau. Wir wollten die ganze Verantwortung gar nicht und würden uns vor der Rolle als Oberhaupt drücken. Chabis.
Es ist vielmehr so, dass die echte Chancengleichheit noch immer weit weg ist. Dass in der Berufswelt noch immer Bedingungen herrschen, die den Frauen die Karriere schwer machen. Sie würden übrigens auch Männern die Karriere schwer machen, wenn nicht die Frauen üblicherweise den Löwinnenateil der Familienarbeit leisten würden. Darum sträube ich mich auch gegen den Begriff frauenfreundlich. Item. Dass Frauen einfach nicht wollen, ist jedenfalls eine faule Ausrede.
Unter dem Hashtag #ichwill ging im Herbst ein Video viral.
Mehr als 50 Frauen aus verschiedenen Branchen forderten darin eine verbindliche Frauenquote. Damit wollten sie Druck ausüben auf die Politik. Und sie hatten Erfolg: 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten von Unternehmen des Bundes und Vorgaben zu den Vorständen von börsenkotierten Unternehmen. Die Frauenquote ist quasi Fakt.
Und das ist gut. Denn, wie weit wir mit Freiwilligkeit kommen, haben wir ja in den letzten 50 Jahren gesehen. «Aber dann bekommt nicht mehr die Person den Job, die am besten qualifiziert ist», sagen Kritiker. Unangenehme Überraschung: Das ist schon jetzt nicht der Fall. Wenn Menschen anhand ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe benachteiligt werden, bedeutet das einen Vorteil für alle, die der Norm entsprechen. Sprich: Weisse Männer haben Jobs nicht, weil sie am besten qualifiziert sind, sondern weil sie weisse Männer sind.
Meritokratie, die Idee, dass harte Arbeit automatisch zu Erfolg führt, ist ein Mythos. Ich glaube, wir sollten über Privilegien sprechen. Das Thema ist zugegebenermassen unangenehm. Aber ich erlebe, wie meine Generation beginnt, sich damit zu beschäftigen. Bist du dir deiner Privilegien bewusst?
Samantha