Zum Helfen zu müde
Schlafen wir schlecht, werden wir nicht nur unausstehlich, sondern sind auch weniger hilfsbereit

Der Wille, zu spenden ist schwächer nach einer schlechten Nacht, wie eine neue Studie zeigt. Generell untergräbt Schlafentzug demnach die Bereitschaft anderen zu helfen.

Stephanie Schnydrig
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Wer eine schlecht Nacht hinter sich hat, ist offenbar weniger hilfsbereit.

Wer eine schlecht Nacht hinter sich hat, ist offenbar weniger hilfsbereit.

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Es liegt in der Natur des Menschen, anderen zu helfen. Das zeigt sich aktuell etwa darin, dass zahlreiche Gastfamilien hierzulande geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern ein Zuhause bieten. Tatsächlich gehen Forschende gehen davon aus, dass die Eigenschaft der Hilfsbereitschaft eine der stärksten Kräfte war, um Gemeinschaften zu kitten und moderne Zivilisationen erst entstehen zu lassen.

Dennoch ist sie nicht allen Menschen gleich stark gegeben. Vielmehr ist sie ein komplexes Zusammenspiel des Charakters, von kulturellen Normen und Erwartungen sowie sozioökonomischen Faktoren. Und nun berichtet ein Team um die Neurowissenschaftlerin und Schlafforscherin Eti Ben Simon von der University of California in Berkeley, dass offenbar auch die Schlafqualität darüber entscheidet, ob wir jemandem unter die Arme greifen oder nicht.

Schlafmangel hinterlässt Spuren im Gehirn

Für die aus drei Teilen bestehende, in der Fachzeitschrift «Plos Biology» erschienenen Studie luden die Forschenden zunächst rund zwanzig junge Menschen für zwei Nächte ins Schlaflabor ein und überwachten deren Hirnströme. In der einen Nacht durften sie normal schlafen, in der anderen bekamen sie keine Minute Schlaf.

Am Morgen danach füllten die Teilnehmenden jeweils einen Fragebogen aus, der die Hilfsbereitschaft erfasst. So zeigte sich, dass gänzlicher Schlafentzug den Wunsch, anderen zu helfen, beeinträchtigt. Aus den Gehirnscans ging zudem hervor, dass der Schlafentzug die Aktivität in jenem Hirnnetzwerk dämpfte, das mit prosozialem Verhalten in Verbindung gebracht wird.

Hinweise, dass schlechter Schlaf zu weniger Hilfsbereitschaft führt, lieferte auch das zweite Experiment. Hierfür rekrutierten die Forschenden online rund 170 Teilnehmende, die während vier Tagen ein Schlaftagebuch führten und Fragen zu ihrer Hilfsbereitschaft beantworteten.

Zehn Prozent weniger Spenden

Schliesslich zeigte sich in der dritten Teilstudie, dass Schlafentzug nicht nur den Wunsch verringert, anderen zu helfen, sondern sich auch im realen Leben manifestiert. So nahmen die Spenden von US-Bürgerinnen und -Bürgern um rund ein Zehntel in der Woche nach Beginn der Sommerzeit ab. Die Zeitumstellung raubt jeden Frühling eine Stunde Schlaf.

Die Studienautorinnen und -autoren schreiben, dass politische Interventionen, die ausreichend Schlaf förderten, dazu führen können, «dass Menschen einander mit grösserer Bereitschaft und Konsequenz helfen.»

Die Psychologin und Schlafforscherin Christine Blume von der Universität Basel, die nicht an der Studie beteiligt war, ist diesbezüglich allerdings etwas vorsichtiger. Zwar sei die Studie «sehr sorgfältig und aufgrund der drei Teilstudien extrem stark.» Doch:

«Schlaf ist sicher ein wichtiges Puzzlestück. Aber Helfen ist ein zu komplexes Verhalten, als dass es sich auf einen einzigen Faktor reduzieren liesse.»

Dennoch zeigten die Ergebnisse durchaus, dass ausreichend guter Schlaf nicht nur für den einzelnen wichtig sei, sondern für die Gesellschaft als Ganzes.

Schuld sind die anderen

Als interessant beurteilt Blume auch das Ergebnis aus der Studie, wonach tendenziell eher mangelnde Schlafqualität, aber nicht unbedingt zu wenig Schlaf zu weniger Hilfsbereitschaft führte. Gut schlafen sei demnach wichtiger als lange zu schlafen. Sie spekuliert, dass wir bei zu wenig Schlaf und einer kurzen Nacht vielmals selbst schuld seien, etwa weil wir noch bis nach Mitternacht unbedingt einen Film zu Ende schauen wollten.

Für schlechten Schlaf könne man hingegen oft jemand anderem die Schuld geben, etwa wenn die Nachbarn in der Nacht anfingen laut Musik zu hören oder die Regierung uns die Zeitumstellung aufzwinge. «Wacht man dann morgens gerädert auf, hält sich die Hilfsbereitschaft anderen Menschen gegenüber in Grenzen.»