In unserer Kolumne «Philosophicum gibt zu denken» regen Mitarbeiter des Philosophicums in Basel abwechslungsweise mit Denkanstössen dazu an, Alltägliches oder Besonderes einmal anders zu betrachten.
Fragen können alles ermöglichen und alles verhindern. Wer kennt sie nicht, die Situationen, in denen plötzlich jemand genau das fragt, was alle schon längst fragen wollten, aber niemand sich zu fragen getraute? Wer eine solche Frage stellt, der bricht den Bann, löst den Knoten, lichtet das Dunkel. Und wer kennt sie nicht, die Situationen, in denen plötzlich etwas unmöglich wird, was kurz zuvor noch möglich schien, weil eine Frage, die noch gar nicht reif gewesen ist, die Stimmung faulen lässt? Wem eine solche Frage gestellt wird, der fühlt sich bedrängt oder beschämt.
Der Volksmund meint es gut mit unseren Fragen. Es heisst, es gäbe keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten. Ja, wir werden regelrecht dazu aufgefordert, zu fragen: Wer nicht fragt, bleibt dumm! Umso wichtiger ist also die Frage, was eigentlich eine gute Frage ist – und welche Fragen das Gute verhindern.
Wer Fragen stellt, die sich niemandem stellen, der stellt keine guten Fragen. Er fragt und fragt und fragt, anstatt aufzupassen und zuzuhören. Vielleicht will er auch gar nicht aufpassen und zuhören, sondern stören. Das kann ein Grund sein, Fragen zu stellen, die sich niemandem stellen. Wer andere behindern will, der wirft mit falschen Fragen um sich.
Wir stellen falsche Fragen aus Verlegenheit. Wenn wir uns nichts mehr zu sagen haben, dann stellen wir uns Fragen, damit wir nicht auch noch schweigen müssen. Das, was wir uns daraufhin antworten, ist selten erhellend, weil Verlegenheitsfragen Verlegenheitsantworten hervorrufen. Das Rendezvous wird nicht besser, wenn es zum Verhör wird.
Wir stellen falsche Fragen, wenn wir falsche Fährten legen wollen. Wenn wir uns hinter unseren Fragen verstecken oder durch unsere Fragen unsichtbar werden wollen. Wir müssen nicht falsch antworten, um zu lügen. Wir können bereits mit falschen Fragen die Wahrheit verfehlen. Wer andere mit falschen Fragen hinters Licht führt, der ist ein Fragenheuchler. Er verdunkelt die Wahrheit, indem er ihr Scheinfragen entgegenstellt.
Und dann gibt es noch die verpassten Fragen: Parzival verpasst in Wolfram von Eschenbachs gleichnamigem Versepos, König Anfortas nach seinem Leiden zu fragen. Anfortas leidet daran, dass ihn niemand danach fragt, woran er leidet. Wenn wir Fragen, die sich stellen, nicht stellen, dann verstellen wir gute Fragen.
Und wie steht es um die guten Fragen, die wir stellen? Sie wirken Wunder und heilen Wunden! Nachdem Parzival Anfortas nach seinem Leiden gefragt hat, kann der König genesen. Gute Fragen müssen keine grossen, sondern entscheidende Fragen sein. Gute Fragen sind Fragen, die an der Zeit sind.
Die Gretchenfrage ist eine entscheidende Frage: «Wie hast du’s mit der Religion?», fragt Gretchen den Faust in Goethes Tragödie. Faust ist diese Frage zunächst unangenehm, doch Gretchen bleibt sich selbst und ihrer Frage treu. Sie zwingt Faust nicht, zu antworten, doch ihre Aufrichtigkeit lässt ihn sich aussprechen. Wer sich selbst und andere aufmerksam beobachtet, der findet gute Fragen. Und er findet auch heraus, wann gute Fragen ausgesprochen werden wollen. Die Kunst des guten Fragens ist eine Lebenskunst. Gute Fragen beleben. Wir werden umso besser zusammenleben, je besser die Fragen sind, die wir bewegen.