Verdingkinder
Irgendwann fällt alles auf uns zurück

Bojan Stula
Bojan Stula
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Hatten damals nichts zu melden: Buben vor dem Leiter des Knabenerziehungsheims Oberbipp im Kanton Bern, 1940.
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Ehemalige Verdingkinder und Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen im März 2014 vor dem Bundeshaus. Ursprünglich forderten sie 500 Millionen Franken Entschädigung, jetzt sind es 300 Millionen.
Zum Beispiel Michel Mischler: Er wurde im Kinderheim Mariahilf in Laufen BL (damals BE), schwer misshandelt. Ihm wurde eingebläut: «Du chasch nüd, du besch nüd und us dir wird nüd!»
2. Version von bz Verdingkinder

Hatten damals nichts zu melden: Buben vor dem Leiter des Knabenerziehungsheims Oberbipp im Kanton Bern, 1940.

Paul Senn

Das beschämende Kapitel über den Umgang mit Verdingkindern scheint immerhin ein einigermassen versöhnliches Ende zu nehmen. Da ist zum einen die Entschuldigung der offiziellen Schweiz, die für viele, denen eine derart unwürdige, traumatisierende Behandlung zugekommen war, ebenso wichtig ist wie finanzielle Unterstützung. Zum anderen verdient es der Versuch der möglichst durchgehenden Entbürokratisierung der Entschädigungsverfahren, lobend hervorgehoben zu werden.

Für all jene, die noch immer die Geschichte der Schweiz lieber idealisierend verklären, als kritisch zu hinterfragen, bieten die tragischen Erlebnisse der Verdingkinder bestes Anschauungsmaterial dafür, was sich unter dem Deckmantel einer sich nicht hinterfragenden Staatsmacht alles abspielen kann. Aus «problematischen» Randgruppen werden sehr schnell tatsächlich Unerwünschte, die Entrechtung, Demütigung und vielleicht sogar körperliche Gewalt erleiden, statt staatliche Fürsorge erleben.

Genau dies muss die Lehre aus der Geschichte der Schweizer Verdingkinder sein: Einflüsse des Zeitgeistes und politisches Kalkül dürfen niemals den Umgang mit den Schwachen der Gesellschaft bestimmen. Stattdessen sind es die Prinzipien des Menschenrechts und der Würde des Einzelnen, die unverrückbar als oberster Grundsatz gelten müssen. Alles andere fällt früher oder später schmerzhaft auf uns zurück.