«Islamgegnerin in Kirchenrat gewählt», «Pfarrerin mit heiklem Netzwerk», «Anti-Islam-Bloggerin sitzt neu im Kirchenrat», «Neue Basler Kirchenrätin in der Kritik», «Anti-Islam-Pfarrerin verteidigt sich», «Der Teufelskreis in der Kirche», «Kleinhüninger Pfarrerin spaltet die Reformierten», «Reformierte Kirche unter Druck», «In der Kirche ist die Hölle los», «Sie ist weit weg von Rechtsextremen», «Wir sind weit weg von einer Krise», «Präsident befürchtet Spaltung der Kirche», «Kirche überprüft ihr Wahlprozedere», «Pfarrerin reicht Strafanzeige ein», «Hexenjagd zu Basel».
Über 50 Artikel wurden schweizweit veröffentlicht, seit Christine Dietrich vor acht Wochen mit 52 von 63 Stimmen in den Kirchenrat der evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt (ERK) gewählt wurde. Heftig wird seither über die Kleinbasler Pfarrerin diskutiert, die während Jahren regelmässig für «Politically Incorrect» (PI-News) schrieb, ein Weblog, das sich nach eigener Beschreibung gegen eine befürchtete «Islamisierung Europas» richtet, und auf dem die Verschwörungstheorie eines «Volkstods durch Bevölkerungsaustausch» verbreitet wird.
War Dietrich nur eine naive Mitläuferin, die nicht realisierte, dass sie sich tief in der neurechten Szene bewegte, obwohl sie damals schon über dreissig Jahre alt und promovierte Theologin war? Oder war sie sogar Drahtzieherin hinter dem rechtsextremen Weblog, wie es Recherchen verschiedener Medien nahelegen? Für ersteres spricht, dass es gemäss der Wahlvorbereitungskommission der ERK «in den Jahren, in denen Dietrich in der Kirchgemeinde Kleinbasel tätig ist, keinen Grund gab, ihr Verhalten oder ihr Handeln anzuzweifeln». Dass sie in der Vergangenheit nicht nur für PI-News aktiv war, spricht allerdings für letzteres.
Die Pfarrerin hielt zum Beispiel vor zehn Jahren eine Rede am zweiten Anti-Islamisierungs-Kongress in Köln, der von der rechtsextremen Kleinpartei Pro Köln organisiert wurde, und äusserte in diesem Rahmen die Befürchtung, «dass was wir unter Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenrechten verstehen, verloren gehen könnte in einem tyrannischen System der Unterdrückung, das wir in Europa und besonders hier in Deutschland nie wieder haben wollen». Den Islam implizit in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken, gehört genau so zum Repertoire der Neuen Rechten wie die Strategie, in die Opferrolle zu schlüpfen, sobald Kritik aufkommt.
Die hitzige Diskussion, ob ihre Vergangenheit zu einer Kirchenrätin passt, empfindet Dietrich als «Hexenprozess». Weil sie sich in ihrer Ehre verletzt fühlt, hat sie Strafanzeige gegen einen Journalisten der bz und den langjährigen Präsidenten der Offenen Kirche Elisabethen gestellt. Darüber darf jedoch nicht vergessen gehen, wer tatsächlich unter der Wahl von Dietrich leidet: Die ERK hatte 2018 noch 26'380 Mitglieder, seit 1980 hat sie mehr als 54'000 Mitglieder verloren, und jedes Jahr verliert sie weitere.
Schlagzeilen wie die hier beschrieben werden kaum dazu beitragen, diesen Abwärtstrend zu stoppen.
*Tobit Schäfer arbeitet als Strategie- und Politikberater. Zudem engagiert er sich ehrenamtlich in verschiedenen Kulturinstitutionen. Während 13 Jahren politisierte er für die SP im Grossen Rat.