Die «Sprechstunde» wird vom Kantonsspital Baselland und dem Universitätsspital Basel bestritten. Sie erscheint alle zwei Wochen. sprechstunde@bzbasel.ch
«Kürzlich bin ich beim Velofahren gestürzt und kopfüber hingefallen. Jetzt ist meine Schulter gebrochen. Muss ich als 71-jährige Frau die Schulter sofort operieren lassen?»
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Nein, das ist überhaupt nicht zwingend. Oberarmkopfbrüche gehören – neben Brüchen im Bereich der Hüfte und Handgelenksbrüchen – zu den häufigsten Brüchen bei älteren Menschen. Für den Entscheid, welche Behandlung die optimale ist, müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Neben unfallchirurgisch-technischen Aspekten wie dem Bruchmuster, das im Röntgenbild zu sehen ist, sind folgende Faktoren einzubeziehen: Liegen weitere mögliche Erkrankungen vor? Wie ist die Knochenqualität? Sind die Knochen allenfalls aufgrund von Osteoporose dünner und poröser und somit anfällig für Brüche? Wie ist der funktionelle Bedarf der Schulter? Wie sehen Ihre Lebensumstände aus? Ausserdem muss im Falle einer Operation auch eine geeignete Rehabilitation – oft auch stationär, zum Beispiel im Felix-Platter-Spital – in Erwägung gezogen werden. Der Unfallchirurg zieht dabei Kollegen aus internistischen Spezialgebieten zurate. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit wird am Universitätsspital Basel mit geriatrischen Fachspezialisten koordiniert.
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«Ich bin für mein Alter noch ziemlich fit, mache regelmässig Nordic Walking und möchte natürlich wieder Velo fahren können. Am liebsten möchte ich meine Schulter wieder so gebrauchen können wie vor dem Velounfall.»
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Die Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre mit der operativen Behandlung von Oberarmkopfbrüchen sind zwar bei jüngeren Patientinnen und Patienten sehr gut, nicht so hingegen bei älteren. Es hat sich in vielen wissenschaftlichen Studien gezeigt, dass die konservative Behandlung bei Patientinnen und Patienten ab dem 70. Altersjahr gegenüber einer Operation mindestens ebenso gute Resultate bringt. Zudem hat die konservative Behandlung den Vorteil, dass keine Narkose nötig ist und auch praktisch keine Komplikationen auftreten, die vielfach einen operativen Eingriff zur Folge haben. Das ist ganz entscheidend in einer Patientengruppe mit oft sehr gebrechlichen Menschen.
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«Empfehlen Sie mir also, auf eine Operation zu verzichten?»
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Natürlich gibt es auch Brüche, die primär operiert werden müssen. Sie sind aber in der Minderzahl. Wir konnten dies mit einer kürzlich abgeschlossenen Beobachtungsstudie am Universitätsspital Basel eindrücklich zeigen: 77 Prozent der Patientinnen und Patienten über 65 Jahren haben wir ohne Operation behandelt. Die konservative Behandlung zeigte gesamthaft sehr gute funktionelle Resultate, sodass die meisten Patientinnen und Patienten ihre Selbstständigkeit erhalten und ihre gewohnten Aktivitäten wieder aufnehmen konnten.
* Prof. Dr. med. Daniel Rikli ist stellvertretender Chefarzt Orthopädie und Traumatologie am Universitätsspital Basel