Anti-Mafia-Kämpferin
Laura Garavini vertritt die Italo-Schweizer im Parlament in Rom – sie sagt: «Auch in der Schweiz werden Schutzgelder erpresst»

Laura Garavini engagiert sich seit 14 Jahren gegen die Mafia. Sie vertritt die in der Schweiz lebenden Italienerinnen und Italiener im Senat. Im Interview erklärt sie, wie eine brutale Bluttat im deutschen Ruhrgebiet ihr die Augen geöffnet hat, was die Schweiz tun muss, um der Mafia keine Schlupflöcher zu bieten und weshalb italienische Restaurants auch hierzulande Schutzgelder bezahlen.

Christoph Bernet
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Eine Mafia-Bluttat erschüttert Europa: Abtransport von Leichensäcken nach dem Sechsfachmord von Duisburg (15. August 2007).

Eine Mafia-Bluttat erschüttert Europa: Abtransport von Leichensäcken nach dem Sechsfachmord von Duisburg (15. August 2007).

Federico Gambarini/EPA

Von 54 Schüssen durchsiebt sind die beiden Autos, welche die Polizei in den frühen Morgenstunden des 15. August 2007 vor dem Restaurant Da Bruno im Bahnhofsviertel von Duisburg entdeckt. Darin liegen sechs tote Männer. Sie hatten zuvor im Lokal die Aufnahme eines der Opfer, des 18-jährigen Tommaso V., in den 'Ndrangheta-Clan Nirta-Strangio gefeiert. Der Sechsfachmord ist ein neuer Höhepunkt in der blutigen Fehde zwischen den Nirta-Strangio und der rivalisierenden 'Ndrangheta-Familie Pelle-Vottari-Romeo aus der kalabresischen Stadt San Luca. Dass die Bluttat mitten in Deutschland stattfindet, schockiert die Öffentlichkeit. Und macht Laura Garavini, in Deutschland lebende Italienerin, zur Anti-Mafia-Aktivistin.

Sie sagten, der Sechsfachmord von Duisburg habe Ihnen die Augen eröffnet, dass die Mafia auch in einer ganz normalen Stadt in Deutschland fest verankert ist. Was hat sich mit Duisburg geändert?

Laura Garavini: Die schreckliche Tat von Duisburg war ein Weckruf. Sie hat den deutschen Institutionen klargemacht, dass die Präsenz der organisierten Kriminalität auch in Deutschland ernst zu nehmen ist. Insofern hatte dieses blutige Verbrechen auch positive Folgen: Die Behörden und die Politik haben reagiert. Gemeinsam mit den italienischen Strafverfolgungsbehörden wurde eine Taskforce gegründet, der es nach kurzem gelungen ist, die Täter von Duisburg und ihre Auftraggeber festzunehmen. Auch die Zivilgesellschaft hat die Herausforderung ernst genommen. Unter anderem dank der Aktivitäten der NGO «Mafia? Nein danke!» konnte einige Monate später gemeinsam mit der Polizei ein Versuch der Camorra unterbunden werden, in Berlin Fuss zu fassen.

Gab es auch längerfristige, positive Entwicklungen nach der Bluttat von Duisburg?

Ja, politisch und bezüglich Gesetzgebung hat sich einiges getan. Auch auf Druck der Zivilgesellschaft hin hat der Bundestag die EU-Richtlinie für den Kampf gegen die organisierte Kriminalität verabschiedet. In der Folge wurde die Gesetzgebung angepasst, etwa zur Vereinfachung der Anerkennung von Gerichtsurteilen aus anderen Staaten zur Konfiszierung von Mafia-Vermögen in Deutschland. Oder bezüglich Geldwäsche. Damit wurde die Gesetzgebung in jenen Bereichen verbessert, die sich im Kampf gegen die organisierte Kriminalität als besonders zentral herausgestellt haben.

Zur Person

Laura Garavini
Frederik von Erichsen/dpa

Laura Garavini

Seit 2008 vertritt die in Vigano (Emilia-Romagna) geborene Laura Garavini (55) die Auslandsitaliener aus dem Wahlkreis Europa im italienischen Parlament – und damit auch die in der Schweiz lebenden Italienerinnen und Italiener. Bis 2018 war sie Mitglied der Abgeordnetenkammern, seither sitzt sie für die Partei Italia Viva von Ex-Premierminister Matteo Renzi im Senat. Seit 1989 lebt die studierte Politikwissenschafterin in Deutschland. Nach dem Mafia-Sechsfachmord in Duisburg 2007 gründete sie die NGO «Mafia? Nein danke!». Während über zehn Jahren war sie Mitglied in der wichtigen Anti-Mafia-Kommission des Parlaments.

Der Bundesrat hat kürzlich eingestanden, dass «die Präsenz und Aktivitäten von Mafia-Organisationen in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten unterschätzt worden sind». Was muss die Schweiz Ihrer Ansicht nach dagegen tun?

Der erfolgreichste Weg, die Mafia zu bekämpfen, ist die Beschlagnahmung ihrer Güter und Finanzmittel. Das zeigt die Erfahrung in Italien. Mitglieder der organisierten Kriminalität können damit leben, wenn sie ins Gefängnis müssen.

Solange die Strukturen draussen bestehen bleiben, können Mafiosi vom Gefängnis aus über diese Mittel und Gelder bestimmen. Damit bleibt ihre Macht bestehen.

Konfisziert man ihre Güter, so nimmt man der Mafia ihre Macht.

Welche Schlüsse sollte die Schweizer Politik daraus konkret ziehen?

Es ist sinnvoll, Gesetze zu schaffen, mit welchen man der organisierten Kriminalität Mittel entziehen kann – und zwar auch solche, die sich im Ausland erwirtschaftet hat. Denn die Mafia lässt ihre Gelder in jene Staaten fliessen, wo sie sich weniger vor einer Konfiszierung fürchten muss.

Wie sehr schadet die bisherige Untätigkeit der Schweiz dem Kampf gegen die Mafia – auch in Italien?

Die organisierte Kriminalität ist global tätig. Um sie erfolgreich zu bekämpfen, braucht es eine enge internationale Zusammenarbeit und Gesetze, die so gut wie möglich international harmonisiert sind. Denn wie gesagt: Die Mafia hat gelernt, ihre Verdienste dorthin zu bringen, wo man es ihr leicht macht.

Und das ist in der Schweiz der Fall?

Das ist in allen Ländern der Fall, welche glauben, sie seien nicht berührt von der organisierten Kriminalität, welche das Phänomen unterschätzen oder ihre Gesetzgebung nicht auf den neuesten Stand bringen. Sie alle werden von der Mafia ausgenutzt.

Ist es ein Nachteil, dass die Schweiz kein EU-Land ist?

Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist auch als Nicht-EU-Land wichtig und machbar. Aber weil sie bei diesem Thema nicht in allen EU-bezogenen Gremien und Richtlinien involviert ist, ist es für die Schweiz umso wichtiger, dass sie sich des Problems bewusst ist und entsprechend handelt – auch von sich aus. Entscheidend dafür sind auch ausreichend spezialisierte Ermittlerinnen und Ermittler, welche die so wichtige internationale Zusammenarbeit sicherstellen können.

Die Italienerinnen und Italiener in der Schweiz sind Teil Ihres Wahlkreises. Beschäftigt sie die Anwesenheit der Mafia in der Schweiz?

Auf jeden Fall. Das merke ich immer wieder. Die italienische Gemeinschaft in der Schweiz und ihre Organisationen haben bereits an vielen Veranstaltungen auf das Problem hingewiesen. Es wäre umgekehrt aber falsch, die italienische Gemeinschaft für die Anwesenheit der organisierten Kriminalität in der Schweiz verantwortlich zu machen. Diese nimmt ganz unterschiedliche Formen an, hat ganz unterschiedliche Hintergründe.

Die von Ihnen mitbegründete NGO «Mafia? Nein Danke!» hat italienische Restaurantbetreiber in Deutschland dabei unterstützt, sich gegen Schutzgelderpressungen zu wehren. Kommt das auch in der Schweiz vor?

Konkrete Einzelfälle sind mir in der Schweiz zwar keine bekannt, aber das hat nichts zu bedeuten. Gerade die Schutzgelderpressung ist ein Phänomen, das häufig nicht ans Licht kommt. Weder die Erpresser noch die Erpressten haben ein Interesse, in die Öffentlichkeit zu geraten. Letztere aus Angst vor möglichen «Bestrafungsaktionen» der Erpresser.

Wir müssen deshalb davon ausgehen: Auch in der Schweiz werden Schutzgelder erpresst.

Ich würde es deshalb begrüssen, wenn auch hier ähnliche Projekte wie «Mafia? Nein danke» entstehen würden.

Was kann die italienische Gemeinschaft in der Schweiz tun im Kampf gegen die Mafia?

Die italienische Gemeinde in der Schweiz hat die Pflicht, auch nur beim kleinsten Verdacht auf Aktivitäten der Mafia Anzeige zu erstatten. Das ist ungeheuer wichtig. Daneben sollte sie ihre Mitglieder und die ganze Schweizer Gesellschaft aktiv auf das Thema sensibilisieren.

Und was kann die Schweizer Gesellschaft insgesamt tun in diesem Kampf?

Die Schweizer Gesellschaft sollte das Thema Mafia ernst nehmen und nicht bagatellisieren. Es braucht ein wachsames Auge und die Bereitschaft, bei Verdacht Anzeige zu erstatten. Leider gibt es aber eine Tendenz, die Mafia als etwas Aufregendes, Glamouröses, Cooles zu betrachten. Das Gegenteil ist der Fall. Die Mafia ist etwas Schreckliches, Hässliches. Jene Geschäfte und Unternehmen, welche diese Bagatellisierung betreiben, sollte man nicht unterstützen. Ich würde beispielsweise ein Restaurant boykottieren, das mit der Mafia-Ästhetik spielt.