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Schweiz
In Winterthur werden Asylbewerber in einem einjährigen Kurs zu Automobiltechnikern. Die Investition ist teuer, aber sie lohnt sich. Vier von fünf Flüchtlingen schaffen den Einstieg ins Berufsleben. Damit wird eine sozialpolitische Bombe entschärft. Eine Reportage.
Andreas Schröder stützt sich auf sein Pult und schaut fordernd in den lichtdurchfluteten Raum. «Nissan macht es uns nicht einfach», doziert er. «Ohne die zehnstellige Teilchen-Nummer suchen Sie das richtige Ersatzteil im Suchprogramm vergeblich.»
Vor ihm sitzen zwölf aufmerksame Schüler an zu einem Hufeisen geformten Tischen. Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene aus Eritrea, Afghanistan, Marokko und Syrien. In ihren blauen Latzhosen und stahldurchwirkten Sicherheitsschuhen wirken sie seltsam uniform, wären da nicht die unterschiedlichen Farbtöne in ihren Gesichtern.
«Gut, tippen wir mal ein: eins, null, drei ...», sagt Schröder. Weiter kommt er nicht: «Nein, Herr Schröder, es ist die Neun!», korrigieren ihn die Schüler höflich, aber bestimmt. Gebannt vergleichen sie die Zahlen auf der an die Wand projizierten Suchmaske mit derjenigen in ihrem Dossier.
Einer von ihnen ist Ismail Seepan. «Ohne Arbeit kann ich nicht leben», sagt er. Der 24-jährige Kurde lebte in Zaxo, einer Stadt an der irakisch-türkischen Grenze, bevor er nach einem längeren Aufenthalt in Athen vor dreieinhalb Jahren seinen Eltern in die Schweiz folgte. Seine Frau liess er im Irak zurück. An diesem Vormittag absolviert er zusammen mit seinen Klassenkameraden eine Einführung in die Automobiltechnik.
Sie gehört zum sogenannten Riesco-Lehrgang an der Schweizerischen Technischen Fachschule Winterthur (STFW). In einer einjährigen Vorlehre sollen die Flüchtlinge für den ersten Arbeitsmarkt fit gemacht werden. Riesco heisst auf Italienisch «ich schaffe das». Ein Motto, das den Flüchtlingen Mut macht auf dem weiten Weg, der noch vor ihnen liegt.
Ismail will weg von der Sozialhilfe und endlich auf eigenen Beinen stehen. Dafür opfert er auch Ausgang und Freunde. «Familie und Arbeit, das ist mir wichtig», sagt er. Mit seinem Vater arbeitete er in der Heimat als Lastwagen-Metallbauer – eigentlich gute Voraussetzungen, um im hiesigen Autogewerbe unterzukommen. Doch so rasch geht das nicht. Besonders das Deutsch bereitet Ismail Mühe. Die Sprache ist aber der Schlüssel zum Erfolg. Das Sprachniveau A2, eine Aufnahmebedingung für den Lehrgang, ist eigentlich zu wenig. Auch Geometrisches Zeichnen fällt ihm schwer, das habe er in der Schule zuvor nie gehabt.
In der Vorlehre lernt der junge Kurde auch die Schweizer Werte kennen. Beeindruckend sei die Pünktlichkeit und Präzision, mit der hier gearbeitet werde. «In meiner Heimat war ich Mechaniker, Berater und Metallbauer in einem. In der Schweiz muss ich mich spezialisieren.» Ismail freut sich auf das kommende Praktikum bei einer Firma für Fahrzeugbau und hofft insgeheim auf eine Lehrstelle.
Alleine im Jahr 2015 kamen fast 20 000 Asylsuchende in die Schweiz. Mehr als die Hälfte von ihnen wird dauerhaft hierbleiben. Diese Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist eine Herkulesaufgabe, die gelingen muss. Sonst steht die Gesellschaft bald vor grossen Problemen. «Wenn wir nicht rasch Erfolge erzielen, dann sind die Asylsuchenden von heute die Sozialhilfeempfänger von morgen», sagte Felix Wolffers, Co-Präsident der Konferenz für Sozialhilfe (Skos) kürzlich gegenüber dem «St. Galler Tagblatt». Eine tickende sozialpolitische Bombe, die ins Geld geht: Finanzminister Ueli Maurer rechnet für 2017 mit Mehrausgaben im Asylbereich von 850 Millionen Franken.
Gross sind die Erwartungen an Ausbildungsprogramme wie Riesco, das neben der Gebäude- und Automobiltechnik auch im Gastgewerbe Kurse anbietet. Der Bund plant, ab 2018 1000 Flüchtlinge pro Jahr in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Vorbild ist das Riesco-Modell. «Das ist aber nicht gratis zu haben», warnt Erich Meier, Rektor der STFW. Er wehrt sich gegen Schnellbleichen. 25 000 Franken, das ist der Preis für die Ausbildung pro Flüchtling. Doch die Bilanz lässt sich sehen: Vier von fünf Flüchtlingen konnten die Riesco-Ausbildner bisher im Arbeitsmarkt unterbringen.
Ausbildungsleiter Schröder und seine Schüler wechseln den Raum. In der angrenzenden Werkstatt streckt ein Neuwagen auf einer Hebebühne alle viere in die Luft. Schröder erklärt, wie man fachgerecht ein Rad abmontiert. Nach kurzem Zögern greifen die Flüchtlinge selber zum Kreuzschlüssel und lösen Schraube für Schraube. Räder und Reifen, Elektrotechnik, Bremsen, Ersatzteildienst und Federbein. Diese Techniken stehen noch auf dem Programm, bevor sich die angehenden Fachkräfte Mitte Juli ins erste Praktikum verabschieden werden.
«Wichtig ist, dass sie unter realen Bedingungen arbeiten», sagt Schröder. In einem Betrieb, in dem nicht alles auf Anhieb klappt, indem man unter Druck arbeiten, sich auch mal einen bösen Spruch anhören müsse und die Werkzeuge dreckig seien. Die Suche nach Praktikumsstellen sei dieses Jahr nicht einfach gewesen, räumt Schröder ein. Es brauche grosse Überzeugungsarbeit. «Hunderte E-Mails habe ich geschrieben und unzählige Telefone geführt. Teilweise wurde ich beschimpft», sagt Schröder. Doch nähmen Arbeitgeber Flüchtlinge auf, sei das Echo sehr positiv. «Ein kleiner Betrieb hat sogar zwei Eritreer angestellt.» Sorge bereitet ihm die Leseschwäche seiner Schüler. «Doch das machen sie mit ihrer grossen Motivation locker wieder wett.»
Auffällig sei der grosse Unterschied beim Wissensstand. «Das reicht vom Akademiker bis zu demjenigen, der auch simple Rechenaufgaben nicht lösen kann.» Ansonsten stellten sich ähnliche Probleme wie bei Schweizer Lehrlingen. Schröder stellt klar: «Flüchtlinge sind hier nicht arbeitslos, weil sie nichts können, sondern weil sie den falschen Pass besitzen.»
Fachkräfte sind in der Schweiz rar. 20 000 Lehrstellen können laut dem aktuellen Lehrstellenbarometer nicht besetzt werden. Vor allem Branchen im technischen Bereich leiden. Als Gegenmassnahmen werden Arbeiter aus der EU ins Land geholt, was wiederum die Zuwanderung ankurbelt. Mit jedem erfolgreich integrierten Flüchtling schlägt der Staat zwei Fliegen mit einer Klappe: tiefere Sozialhilfekosten und weniger Zuwanderung.
Die Schweiz passt ihre Asyl- und Wegweisungspraxis für das frühere Bürgerkriegsland Sri Lanka an. Die Sicherheitslage und der Schutz der Menschenrechte hätten sich klar verbessert, lautet das Analyseergebnis der Bundesbehörden.
Betroffen von der «umfassenden Neubeurteilung» sind aktuell 1360 Personen aus Sri Lanka, deren Gesuche erstinstanzlich hängig sind, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) am Donnerstag in einem Communiqué mitteilte. Fortan gelte für alle Gesuche die neue Lage-Einschätzung. Die Einzelfallprüfung werde aber beibehalten.
Beim Schutz der Menschenrechte seien heute in Sri Lanka «substanzielle Fortschritte» zu verzeichnen, so etwa bei der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit. Auch nehme der Schutzbedarf für Personen mit Verbindungen zu der ehemaligen Miliz der Befreiungstiger Tamil Eelam ab, je länger der Konflikt zurückliege. Die Kriegsschäden an der Infrastruktur seien weitgehend behoben. (SDA)