Asyl
Wegen Gewalt in Bundesasylzentren: Polizei rückt im Durchschnitt zweimal täglich aus

Im ersten Halbjahr 2021 musste die Polizei 362 Mal wegen Gewalt in Bundesasylzentren intervenieren. Mit einem neuen Präventionsprogramm konnte der Bund die Zahl der Vorfälle aber jüngst deutlich senken.

Kari Kälin
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Die Polizei beim Bundesasylzentrum Zürich.

Die Polizei beim Bundesasylzentrum Zürich.

Bild: Walter Bieri/Keystone

Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Religion finden sich auf engem Raum wieder, teilen die Schlafräume, haben wenig Privatsphäre, zum Teil keine Aussicht auf ein Bleiberecht, sind unterbeschäftigt, dazu kommt Suchtmittelmissbrauch: Die Ausgangslage in Bundesasylzentren birgt Konfliktpotenzial. Und seit das neue Asylgesetz mit den beschleunigten Verfahren im März 2019 in Kraft getreten ist, halten sich mehr Asylsuchende länger in Bundesasylzentren auf.

«Dieses neue Setting dürfte das Konfliktpotenzial erhöht haben», teilte das Staatssekretariat für Migration (SEM) diese Woche mit. Der Ausbruch der Coronapandemie habe das Problem noch verschärft. In der Tat kommt es in den Bundesasylzentren – dort sind aktuell rund 2500 Personen in 18 Unterkünften untergebracht – täglich zu Konflikten, die manchmal gewalttätig ausgetragen werden. Im ersten Halbjahr 2021 registrierte das SEM 708 Gewaltereignisse, wie Sprecher Daniel Bach auf Anfrage mitteilt.

Oft Drogen und Alkohol im Spiel

Immer, wenn der Sicherheitsdienst einschreiten muss, um die Lage zu beruhigen, wird ein Vorfall registriert. In 362 Fällen bot das Sicherheitspersonal sogar die Polizei auf, um die Situation zu entschärfen. Mit anderen Worten: Im Durchschnitt ist die Polizei im ersten Halbjahr 2021 täglich zweimal wegen eines Streits zu einem Bundesasylzentrum ausgerückt.

Die Gewaltvorfälle reichen von wüsten verbalen Beschimpfungen bis hin zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Asylsuchenden, aber auch zwischen Asylsuchenden und dem Sicherheits- und Betreuungspersonal. Wenn Asylsuchende austicken und sich Unflätigkeiten leisten, wie andere Personen anspucken, sind oft Alkohol und Drogen im Spiel.

Häufig passieren solche Vorfälle in der Nacht, wenn die Asylsuchenden vom (meistens unbewilligten) Ausgang zurückkehren. Manchmal geraten Personen unterschiedliche Ethnien aneinander. Auch religiöse Streitigkeiten münden manchmal im Zwist – etwa dann, wenn muslimische Asylsuchende Glaubensgenossen auffordern, die religiösen Normen besser einzuhalten.

Situation hat sich in den letzten Monaten entspannt

«Die allermeisten Asylsuchenden», sagt SEM-Sprecher Bach, «verhalten sich korrekt.» Er weist darauf hin, dass derzeit nur etwa zehn Personen in einem speziellen Zentrum für Renitente im Neuenburger Jura untergebracht sind.

In jüngster Vergangenheit hat sich das Gewaltproblem in den Bundesasylzentren merklich entschärft. So sank die Zahl der Gewaltereignisse im zweiten Quartal 2021 gegenüber dem ersten Quartal um 35 Prozent. Auch die Polizei musste weniger oft intervenieren. Seit Februar dieses Jahres setzt das SEM in allen Asylregionen der Schweiz sehr erfahrene Betreuungspersonen zur Konfliktprävention ein. Offenbar gelingt es ihnen oft, sich anbahnende Konflikte früh zu erkennen, zu verhindern oder zu deeskalieren.

Aufgrund der positiven Erfahrungen stehen seit September in allen Zentren insgesamt 60 Konfliktpräventionsbetreuende im Einsatz. Das SEM reduziert im Gegenzug gleich viele Stellen beim Sicherheitsdienst. Zudem hat es im Mai ein Konzept zur Konfliktprävention verabschiedet. Unter anderem enthält es eine Art Werkzeugkasten für das Sicherheitspersonal und die Betreuenden für den Umgang mit Konflikten.

In einem Bericht attestiert der ehemalige Bundesrichter Niklaus Oberholzer, dass dank der Gewaltprävention «eine wesentliche Beruhigung» erzielt werden konnte. Oberholzer untersuchte im Auftrag des SEM Vorwürfe, wonach das Sicherheitspersonal in Bundesasylzentren Asylsuchende systematisch schlecht behandle.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erhob sogar Foltervorwürfe. Entsprechende Vorwürfe seien irreführend und falsch, schlussfolgerte Oberholzer. In drei von sieben Fällen, die er unter die Lupe nahm, konstatierte er jedoch einen unverhältnismässigen Einsatz von Zwangsmassnahmen. Er empfahl dem SEM eine Reihe von Verbesserungsmassnahmen.