Leitartikel
Die Exit-Strategie des Bundesrats macht Sinn – aber: Ginge es nicht ein wenig schneller?

Leitartikel zur Exitstrategie aus den Corona-Massnahmen des Bundesrates.

Doris Kleck
Doris Kleck
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Die Schweiz steht seit über vier Wochen fast komplett still. Nun hat der Bundesrat eine schrittweise Exitstrategie präsentiert.

Die Schweiz steht seit über vier Wochen fast komplett still. Nun hat der Bundesrat eine schrittweise Exitstrategie präsentiert.

Keystone

Seit einem Monat steht das öffentliche Leben fast still. Die bange Frage seither ist: Wann kehrt die Normalität in unseren Alltag zurück? Wann bewegen wir uns wieder frei, wie wir wollen und frönen unseren Hobbys? Und ganz wichtig: Gehen wieder normal unserer Arbeit nach?

In diesem Monat wurde uns schmerzhaft bewusst: Die neue Normalität wird eine andere sein als vor dem 16. März. Zumindest bis es einen Impfstoff gegen das Coronavirus gibt. Und das wird noch viele Monate dauern. Fast im Tagesrhythmus werden neue Studien zum Coronavirus publiziert.

Dennoch wissen wir immer noch wenig. Der Bundesrat musste weitreichende Entscheidungen im Unwissen treffen – die es später sicher genau zu untersuchen gilt. Schon heute stellt sich die Frage, ob die Schulschliessungen wirklich richtig waren, wenn der Bundesrat die Kinder als Treiber der Epidemie explizit ausschliesst.

Die Regierung entschied sich im März bei der Bekämpfung der Coronapandemie für einen Mittelweg, zwischen harten Einschnitten und dem Appell zur Selbstverantwortung. Das Ziel, den Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern, hat sie mit den Massnahmen erreicht. Die Intensivstationen in den Spitälern haben freie Kapazitäten, der grosse Ansturm – er kam nicht. Dafür kamen die wirtschaftlichen Konsequenzen mit voller Wucht: Kurzarbeit auf einem Rekordhoch, Arbeitslosigkeit rasant steigend, Existenzängste und Furcht vor einer Konkurswelle, eine hohe Staatsverschuldung sowie angeschlagene Sozialwerke.

Eine lange Phase des konjunkturellen Aufschwungs ging abrupt zu Ende. Der Bundesrat stand und steht noch immer vor der schwierigen Aufgabe, eine Exitstrategie vorzubereiten und durchzuziehen: die Gesundheit schützen, eine zweite Welle verhindern und trotzdem der Wirtschaft wieder Leben einhauchen. Den Menschen wieder eine Perspektive geben. Dabei gehen Gesundheit und Wirtschaft einher. Gestern erreichte mich eine SMS, «Yeah, auf dem Weg zur Arbeit!». Die Wertschätzung der Arbeit ist heute eine andere als noch vor Monatsfrist. Der Bundesrat geht behutsam vor. Das ist verständlich.

Doch es stellt sich auch die Frage: Ginge es nicht auch ein wenig schneller? Der vergangene Monat hat gezeigt, wie lernfähig die Schweizer Bevölkerung ist. Wir haben unser Verhalten angepasst, den Verzicht geübt und gezeigt: Ja, wir haben begriffen, wie Abstand halten funktioniert.

Doch nun müssen wir einen Weg finden in die neue Normalität. Dass die Lockerungen etappenweise geschehen, ist sicher richtig. Die Menschen in diesem Land kennen nun den Fahrplan, sie wissen, was von ihnen erwartet wird, damit die nächsten Lockerungen ausgelöst werden. Das kann man als gutes, weil disziplinierendes Erwartungsmanagement bezeichnen. Allerdings: Die Lockerungen sind zaghaft.

Das zeigt auch ein Blick nach Deutschland. Auch die Regierung von Angela Merkel hat einen vorsichtigen Weg gewählt. Dennoch dürfen kleine Geschäfte wieder öffnen, die Schulen gehen schon Anfang Mai wieder auf. In der Schweiz sind die Branchen daran, Konzepte zu entwickeln, wie sie die Vorschriften des Bundesamtes für Gesundheit umsetzen können.

Dieser Ansatz ist richtig. Der Bundesrat sollte den einzelnen Wirtschaftszweigen vertrauen. Sie kennen ihr Geschäft und sie haben ein Interesse daran, dass das Wirtschaftsleben weitergeht. Und dass eine zweite Welle, die gleichbedeutend mit einem zweiten Lockdown wäre, verhindert werden muss.

Der schmerzhafteste Punkt dieser Pandemie ist der Umgang mit verletzlichen Personen, Eltern und Grosseltern. Trotz der Exitstrategie, die so wichtig ist: Der Bundesrat ruft die gefährdeten Personen explizit dazu auf, weiter zu Hause zu bleiben. Die Trennung der Generationen bleibt bestehen. Und das ist die härteste Prüfung für die Gesellschaft überhaupt.