Sollen gefährdete Menschen auf Auslandsvertretungen einen Asylantrag stellen dürfen? Darüber debattiert der Ständerat am Mittwoch.
Am Ende geht es um Leben und Tod. «Das Botschaftsasyl war ein wichtiges Instrument, um Menschen davor zu bewahren, sich zum Beispiel mit Kindern in ein Schlauchboot zu setzen», sagt Sarah Progin, Professorin für europäisches Migrationsrecht an der Universität Fribourg.
Beim Botschaftsasyl handelt es sich um die Frage, ob gefährdete Personen bei einer Schweizer Vertretung im Ausland einen Asylantrag stellen dürfen. Wird er genehmigt, wäre die Einreise legal – und sicher. Die Kriterien für eine Aufnahme bleiben dabei unverändert.
Das Botschaftsasyl wurde 2013 im Zuge einer Asylgesetzreform abgeschafft. Damals unterstützte die SP die Vorlage. Acht Jahre später möchte SP-Ständerat und Rechtsprofessor Daniel Jositsch diesen Volksentscheid rückgängig machen. Er hat eine Motion eingereicht, die am Mittwoch im Ständerat beraten wird.
In der letzten Session im Parlament sagte Jositsch, dass das Botschaftsasyl denjenigen einen Zugang zu fairen Asylverfahren erlauben würde, die es nötig hätten und schutzbedürftig seien. «Statt mittels Schleppern und auf irgendwelchen Nussschalen sowie unter Lebensgefahr über das Mittelmeer zu kommen, obwohl man ein legaler Flüchtling ist.» Der Bundesrat lehnt die Vorlage ab und sagt, dass dadurch die Schweiz als Asylland zu einem Anziehungspunkt werde und dass für Schutzsuchende bereits Instrumente zur Verfügung stünden, die sich bewährt hätten – wie zum Beispiel das humanitäre Visum oder das Resettlement-Programm.
Ein Allheilmittel sei das Botschaftsasyl jedenfalls nicht, sagt Professorin Progin. «Ist eine Person gefährdet, muss sie zuerst den Weg in eine Botschaft machen, dort findet eine summarische Prüfung statt, sie muss gültige Papiere vorweisen und einen Verfolgungsgrund geltend machen», sagt Progin.
Diese Bürokratie kritisiert Lea Hungerbühler von der Asyl-Rechtsberatung Asylex, auch wenn sie sich für das Botschaftsasyl ausspricht:
«Es gibt moderne Varianten, ein Gesuch zu stellen, zum Beispiel via Zoom.»
Ein QR-Code sei im Gegensatz zu einem Botschaftsstempel fälschungssicher und nur einmal gültig. «Wieso die Schweiz an bürokratischen Traditionen festhält, ist ein Rätsel.» Hungerbühler verweist auch auf die fehlenden Vertretungen in Ländern mit prekären politischen Situationen, wie zum Beispiel Afghanistan, Syrien, Eritrea. Es gäbe immer Lösungen, sagt sie. In diesen Ländern könne man mit den Botschaften anderer europäischer Staaten und internationalen Organisationen kooperieren.
Das Botschaftsasyl sei für die aktuelle Situation in Afghanistan wenig geeignet, da es keine Schweizer Vertretung in Kabul mehr gebe, sagt Progin. «Gefährdete Personen sollten sich jetzt am besten ruhig und diskret verhalten, bis es wieder möglich wird, dass Flüge stattfinden können.» Denn im Moment sei es sehr schwer, den Überblick zu behalten. Dass Schweizer Nichtregierungsorganisationen Listen mit Namen von Angehörigen erstellt haben, die in Afghanistan derzeit gefährdet seien, findet Progin riskant. «Fallen solche Listen in die Hände der Taliban, setzt man diese Personen noch mehr Gefahren aus.»
Ganz anders sieht das Hungerbühler. «Das ist sehr weit hergeholt.» Die Taliban hätten längst sämtliche Namen und biometrische Daten, die in Afghanistan überhaupt vorhanden seien – auf eine europäische Liste seien die Taliban nicht angewiesen. «Wir arbeiten mit Leuten vor Ort und wissen, dass die Menschen zu Hause ausharren und in panischer Angst darauf warten, dass die Taliban bei ihnen vorbeikommen, denn diese wissen ganz genau, wohin sie gehen müssen», sagt Hungerbühler.
Deshalb biete ruhiges Abwarten zu Hause keinerlei Schutz. Andere Länder wie zum Beispiel Frankreich oder Kanada würden es auch schaffen, derzeit Leute aus Afghanistan zu holen. Das sei bestimmt mit Kosten, Aufwand und Unannehmlichkeiten verbunden, aber durchaus machbar, so Hungerbühler:
«Wenn man wirklich will, dann geht’s, und sonst natürlich nicht.»
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