Die Franzosen lieben den Radsport. Doping hin oder her. Insbesondere die Tour de France zieht das Volk in ihren Bann. Aber es gibt ein Problem: Seit 35 Jahren hat keiner der ihren das bedeutendste Velorennen gewonnen. Nun aber ist ein Ende der Misere in Sicht.
Thibaut Pinot wird Zweiter des wichtigsten Vorbereitungsrennen, der Dauphiné-Rundfahrt
© Anne Christine Poujoulat/ Pool / EPA
Der gute Mann heisst Thibaut Pinot und ist 30-jährig. Er war 2014 Gesamtdritter. Im vergangenen Sommer stand er dicht vor dem grossen Triumph, musste aber wegen einer Oberschenkelverletzung während der 19. Etappe aufgeben.
Die Strecke ist auf Pinot zugeschnitten
Der Parcours in diesem Jahr ist auf Pinot zugeschnitten. Wenige Zeitfahrkilometer und viele Berge prägen die 107. Tour de France, die am Samstag mit einer gut 150 Kilometer langen Flachetappe in Nizza beginnt.
Der 1,80 Meter grosse Pinot ist ein guter Bergfahrer, der in den Zeitfahren den Schaden im Rahmen halten kann. 2016 wurde er sogar französischer Meister im Kampf gegen die Uhr. Das wichtigste Vorbereitungsrennen, die Dauphiné-Rundfahrt, beendete er trotz eines Sturzes in der zweitletzten Etappe auf dem zweiten Platz.
Küng gibt den Ton an, das Team hört auf ihn
Auch weil Radfahren ein Mannschaftssport ist, konnte Pinot den Podestplatz von 2014 nie mehr wiederholen. Die Übermacht von Sky und später Ineos war zu gross. Aber die Franzosen haben reagiert und sich verstärkt. Der wichtigste Helfer in der Equipe Pinots ist der Thurgauer Stefan Küng, der seit der vergangenen Saison für Groupama-FDJ fährt. Küng hat nicht nur schnelle Beine, sondern auch einen hellen Kopf.
Stefan Küng (rechts) auf dem WM-Podest. In der Mitte Weltmeister Mads Pedersen aus Dänemark. Zweiter wurde Matteo Trentin aus Italien.
© Franck Faugere/Freshfocus (Harrogate, 29. September 2019
Der verlängerte Arm der Sportlichen Leiter
Deshalb ist der WM-Dritte während der nächsten drei Wochen der sogenannte «Capitaine de la Route» im Team des französischen Sieganwärters. Im Rennen ist der sprachgewandte Küng der verlängerte Arm der Sportlichen Leiter, die hinter dem Feld im Auto mitfahren. Er gibt seinen Mannschaftskollegen Anweisungen und trifft taktische Entscheide, die auch der Teamleader Pinot befolgen muss. Küng sagt:
Das hat sich im Lauf der Zeit so ergeben. «Als ich im vergangenen Jahr neu im Team war, wäre es mir nicht in den Sinn gekommen, eine solche Position zu beanspruchen», so Küng.
Im Weiteren ist der Schweizer dafür verantwortlich, dass Pinot ungeschoren über die Flachetappen, durch die Windkanten und über jene Teilstücke mit einem Klassikerprofil kommt.
Der Druck ist gross, aber Küng bleibt cool
Ein Mannschaftszeitfahren steht in diesem Jahr nicht auf dem Programm. Aus Rücksicht auf Pinot. Das einzige Einzelzeitfahren endet am zweitletzten Tag mit einer knapp sechs Kilometer langen Steigung. Das spielt ebenfalls Pinot in die Karten. Der Druck der Öffentlichkeit ist gross, aber Küng bleibt cool:
Küng ist ebenfalls in Form. In den Vorbereitungsrennen kam er überraschend gut über die Berge. «Das ist ja nicht mein Terrain.» Anfang Woche wurde er Europameister im Zeitfahren.
Auch Raum für Eigeninteressen
Der 26-jährige Küng startet zu seiner vierten Tour de France. Den Einstand gab er mit einem zweiten Rang im Prologzeitfahren 2017. In diesem Jahr setzt Küngs Team alles auf Pinot. Trotzdem soll auch der Chefhelfer Freilauf erhalten. «Wenn sich die eine oder andere Möglichkeit ergibt, kann ich sicher etwas probieren», sagt Küng.
Eines freilich bleibt ungewiss. Wie schlägt sich das Coronavirus auf die Tour 2020 nieder? Küng sagt: «Das weiss niemand. Deshalb zerbreche ich mir den Kopf nicht darüber.» Teams – inklusive Staff – mit zwei positiven Coronatests in sieben Tagen werden ausgeschlossen. Nicht auszudenken, wenn es Küngs Mannschaft mit Leader Pinot wäre.
Die Misere der Gastgeber würde weiter anhalten. Letzter französischer Gesamtsieger der Tour de France war 1985 Bernard Hinault.