Das Berner Problem des Rousseff-Nachfolgers

Brasiliens Vizepräsident Michel Temer ist unter Druck. Dokumente aus der Schweiz könnten zu seinem Ende beitragen.

SaW Redaktion
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Michel Temer mit der suspendierten Präsidentin Dilma Rousseff. Foto: Reuters

Michel Temer mit der suspendierten Präsidentin Dilma Rousseff. Foto: Reuters

Schweiz am Wochenende

Von Christoph Bernet
Erst vor zwei Wochen hat Brasiliens Vizepräsident Michel Temer interimistisch die Amtsgeschäfte von der suspendierten Staatschefin Dilma Rousseff übernommen. Nun steht er wegen Enthüllungen in brasilianischen Medien bereits unter schwerem Beschuss.
Brasilianische Zeitungen publizierten diese Woche im März heimlich aufgezeichnete Telefongespräche zwischen mächtigen Parteifreunden Temers und früheren Managern des staatlichen Ölgiganten Petrobras. Deren Inhalt: Die Absetzung der unpopulären Rousseff soll helfen, brisante Ermittlungen wegen Korruption im Petrobras-Skandal zu stoppen. Angeblich waren Bundesrichter und hohe Militärs in den Plan eingeweiht. Die Ermittlungen brachten ein ausgeklügeltes System von Schmiergeldzahlungen durch Firmen an Politiker zum Vorschein. Sie schanzten im Gegenzug den Firmen überteuerte Aufträge zu.
«Die Schweizer Justiz hatte entscheidenden Anteil daran, die Ermittlungen überhaupt ins Rollen zu bringen», sagt Rolf Rauschenbach, an den Universitäten São Paulo und St. Gallen tätiger Staatswissenschafter. Hinweise der Bundesstaatsanwaltschaft führten 2014 zur Verhaftung eines hochrangigen Petrobras-Managers. Seither dient er den brasilianischen Anklägern als Kronzeuge. Seine Aussagen führten zur Anklage von zahlreichen hochrangigen Politikern, darunter Parteifreunde von Vizepräsident Temer.
Brisante Dokumente in Bern
Beobachter glauben, dass die provisorische Suspendierung Rousseffs vom Senat bestätigt und sie ihres Amtes enthoben wird. Dann würde gemäss Verfassung Michel Temer für den Rest der Amtszeit bis Ende 2018 als Präsident regieren. Wird aber nachgewiesen, dass Wahlkampfgelder des Tickets Rousseff/Temer 2014 aus illegalen Quellen stammen, wird das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen von 2014 kassiert.
Verfügt sie über entsprechende Hinweise, «könnte die Bundesanwaltschaft in Bern damit das Schwert in der Hand halten, das den gordischen Knoten der brasilianischen Politik zu durchtrennen hilft», sagt Rauschenbach. Die Bundesanwaltschaft in Bern bestätigt gegenüber der «Schweiz am Sonntag», dass sie im Rahmen der Ermittlungen zum Fall Petrobras ein Konto gesperrt hat, über welches gemäss heutigem Kenntnisstand politische Kampagnen in Mittel- und Südamerika finanziert worden seien. Ihr Augenmerk richte sich aber auf eine möglicherweise kriminelle Herkunft der Gelder, nicht deren Verwendung. Diese Frage interessiert die Behörden in Brasilien. Sie haben laut Bundesanwaltschaft mit einem Rechtshilfeersuchen mittlerweile die Zustellung der fraglichen Bankunterlagen beantragt. Es sei in Bearbeitung.
Beantwortet die Bundesanwaltschaft das Ersuchen rasch, könnten die brasilianischer Amtskollegen für ein Erdbeben sorgen: Gelingt es ihnen, dem Ticket Rousseff/Temer vor Ende 2016 illegale Wahlkampffinanzierung nachzuweisen, kommt es zu Neuwahlen durch das Volk. Erfolgt das Urteil erst danach, wählt das Parlament einen neuen Präsidenten für die restliche Amtszeit.
«Wichtige Vertreter des Parlaments sind nachweislich korrupt», sagt Rolf Rauschenbach. «Nur Neuwahlen durch das Volk würden das Vertrauen der Brasilianer in die Politik wieder stärken.» Den Schlüssel dazu bieten möglicherweise Bankunterlagen, die derzeit auf einem Schreibtisch der Bundesanwaltschaft in Bern liegen.
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